Am 17. Oktober 2017 empfing der Kreisverband der Europa-Union Bad Tölz-Wolfratshausen e.V. Jochen Kubosch, den ehemaligen Leiter des Regionalbüros des Europäischen Parlaments in München zu dem Vortrag „Zwischen Krisen und Reformen – welche Zukunft für die EU?“ in der Flößerei.

Die Kreisvorsitzende, Elke Müller, gab eine kurze Einführung zur Person des Referenten. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften trat er zunächst als Richter in Nürnberg und später als Europareferent im Bayerischen Staatsministerium in den Staatsdienst ein. Zehn Jahre arbeitete er als nationaler Experte bei der Kommission in Brüssel, danach leitete er die Vertretung der Bayerischen Kommission in München und anschließend das Informationsbüro des Europäischen Parlaments, München. Hier war seine Hauptaufgabe die enge Zusammenarbeit mit den Abgeordneten und die Vermittlung zwischen den bayerischen Bürgern, Brüssel, Straßburg sowie Medien, Politik und Wirtschaft. Natürlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass Jochen Kubosch, Mitglied des Landesvorstands der Europa-Union Bayern e.V. ist.

Zunächst verglich Jochen Kubosch die Rede zur Lage der Union von Kommissionspräsident Juncker des Jahres 2016 mit der des Jahres 2017. Im vergangenen Jahr war die Stimmung in der EU nach dem Brexit äußerst pessimistisch. Noch nie war die Spaltung innerhalb der Europäischen Union tiefer. Dies hat sich in diesem Jahr beginnend mit den Wahlen in den Niederlanden und vor allem in Frankreich durch die Wahl Emmanuel Macrons in eine pro-europäische Stimmung gewandelt. Den Populisten ist eine eindeutige Absage erteilt worden. Dabei sieht er das Ergebnis der Wahlen in Deutschland und Österreich durch die Gewinne der extrem rechten Parteien nicht als gravierend, weil es hier nicht um Europa an sich, sondern vor allem um die Migrationspolitik ging.
Als einen weiteren Grund für eine positive Stimmung nannte er den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA. Die Regierung Trump ist eine Anforderung an Europa, stark und einig zu sein, um die zukünftigen Herausforderungen meistern zu können. Auch haben die bisherigen Verhandlungen um den Brexit den Eindruck vermittelt, wie kompliziert diese Trennung ist und welche Nachteile sich für Großbritannien ergeben. Ein in Auftrag gegebenes Gutachten der britischen Regierung, um wie viel das Leben des einzelnen britischen Bürgers pro Jahr nach dem Austritt teurer wird, nennt 1.400 britische Pfund, nicht veröffentlicht 1.600 britische Pfund.
Dass die Europäische Union reformiert werden muss, wird nicht bezweifelt. Hierzu hat der überzeugte Europäer Emmanuel Macron schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt weitgehende Vorschläge gemacht. Diese sind als Aufforderung an die Mitgliedsstaaten – vor allem Deutschland – zu werten, baldmöglichst diskutiert zu werden, um eine positive Entwicklung voran zu treiben.
Weiterhin hat sich auch eine günstige Wirtschaftslage innerhalb der EU ausgewirkt, durch die 8 Millionen Arbeitsplätze mehr geschaffen wurden. Die Bürger haben zu einem großen Teil den Vorteil der Europäischen Union erkannt und sprechen sich derzeit zu 61 % für mehr Zusammenarbeit innerhalb der EU aus.
Während der 60-Jahr-Feier der EU in Rom setzten die 27 Mitgliedsstaaten (England war nicht mehr dabei) mit der Unterzeichnung der „Erklärung von Rom“ ein Zeichen zur Anerkennung gemeinsamer Werte und der Erhaltung der Einheit
Auch die pro-europäische Bewegung „Pulse of Europe“, die auch junge Menschen in vielen Städten Europas veranlasst, für Europa auf die Straße zu gehen, hat sich positiv auf die europäische Stimmung ausgewirkt.

Der Referent sieht nach wie vor jedoch schwierige Partner in Polen und Ungarn. Wegen der Verweigerung, Flüchtlinge aufzunehmen, werden wohl Zwangsgelder verhängt werden müssen. Zudem ist die Rechtsstaatlichkeit in der EU nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleistet. In vielen europäischen Staaten stellt die hohe Jugendarbeitslosigkeit ein nicht gelöstes Problem dar. Die Wirtschafts- und Bankenunion, die Haftung der Banken untereinander, die Haftung des Staates oder der Sparer, hier gibt es noch sehr viel zu tun. Weiterhin muss eine Steuerharmonisierung mit dem Ziel einer Steuergerechtigkeit auf EU-Ebene gestaltet werden. Auch geht es um das Prinzip: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort.

Vor den Wahlen des Europaparlaments 2019 sind aus der Sicht von Jochen Kubosch die Förderprogramme, die ab 2021 beginnen, neu zu verhandeln. Themen wie die Aufnahme von Flüchtlingen, die Agrarpolitik, etc. erfordern einstimmige Beschlüsse, hiermit muss in 2018 begonnen werden, um keine Zeit zu verlieren. Dieses wichtige Vorwahl-Jahr sollte durch die jetzt herrschende positive Grundstimmung genutzt werden, auch um u.a. Steuerschlupflöcher zu schließen und mehr Transparenz zu schaffen.

Weiterhin erläuterte Jochen Kubosch die fünf Szenarien des Weißbuchs zur Zukunft der EU:
1. Weiter wie bisher: Dies wird den Anforderungen sicher auf die Dauer nicht gerecht.
2. Nur Binnenmarkt: Dieses Szenario entspräche dem Wunsch Großbritanniens.
3. Verschiedene Geschwindigkeiten: Probleme der Abstimmung im Parlament, d.h. die Beschlussfassung wird komplexer
4. Weniger, aber effizienter: Wichtige Probleme bleiben evtl. ungelöst, die Einigung darüber, was vorangetrieben oder aufgegeben wird, könnte sich schwierig gestalten.
5. Viel mehr gemeinsames Handeln: sicherlich gut für Energie, Sicherheit, Außengrenzen – allein die Weiterentwicklung von Handelsverträgen sichert 14.000 neue Arbeitsplätze durch jeden Vertrag.

Der Referent schloss mit der Aufforderung an die Teilnehmer, sich zu Europa zu bekennen und nicht aufzuhören, Europa besser zu erklären, um Fehlinterpretationen und falschen Einschätzungen entgegenzuwirken.

Während der anschließenden Diskussion wurden noch viele Fragen beantwortet.
Schließlich dankte die Kreisvorsitzende Jochen Kubosch auch im Namen der Anwesenden herzlich für den sehr informativen und gut verständlichen Vortrag.