In der größten Krise ihrer Geschichte wird die EU mit dem wichtigsten Preis der Welt ausgezeichnet: Der Friedensnobelpreis 2012 ging an die Staatengemeinschaft. Auch wenn Europa derzeit vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte steht, Antworten auf die Schuldenkrise und deren Auswirkungen zu geben, ist es richtig, dass genau jetzt der Blick auf den wichtigsten Erfolg der Union gerichtet wird: Frieden und Demokratie. Denn die Europäische Union ist ein Paradebeispiel für erfolgreiche Zusammenarbeit ehemals verfeindeter Nationen.

Oft wird die EU in erster Linie als eine Behörde oder Institution in Brüssel angesehen oder als Wirtschaftsgemeinschaft. Doch die EU ist mehr, viel mehr! Sie ist ein politisches Konzept, ein einzigartiges Friedensprojekt, eine europäische Idee, die als Antwort auf geschichtliche Erfahrungen in Europa entstanden ist und umgesetzt werden konnte.

Wenn in diesen Tagen über die Zukunft und Weiterentwicklung der EU, auf Grund einiger Fehlkonstruktionen diskutiert wird, dürfen wir die bisherigen positiven Leistungen des europäischen Integrationsprozesses nicht vergessen. Denn angesichts der täglichen Schlagzeilen von Schuldenkrise und Rettungspaketen vergisst man leider sehr schnell, worum es eigentlich geht: den erfolgreichen Einsatz für Frieden und Versöhnung, für Demokratie sowie die Menschenrechte.

Seit 1945 ist die Versöhnung von ehemals verfeindeten Nationalstaaten Wirklichkeit geworden. Der Zweite Weltkrieg und das furchtbare Leid zeigte die Notwendigkeit eines neuen Europas deutlich auf. Über 70 Jahrzehnte hinweg hatten Deutschland und Frankreich drei Kriege ausgefochten. Heute ist Krieg zwischen den beiden Staaten undenkbar. Dieses Beispiel zeigt, wie historische Feinde durch den Aufbau gegenseitigen Vertrauens engste Partner werden können.

Den Friedennobelpreis gerade in der tiefsten Krise der Gemeinschaft zu erhalten, ist ein wichtiges Signal und Ansporn für die Zukunft. Denn die EU steht angesichts der Ereignisse in der arabischen Welt und im Nahen Osten vor der großen Herausforderung, die Stabilisierung ihres unmittelbaren Umfeldes und die Festigung der zahlreichen konfliktträchtigen Zonen, an die sie in den letzten Jahren herangerückt ist, zu bewältigen. Die Beispiele Nordafrika, der Nahe Osten und der Blick an die östlichen Außengrenzen machen deutlich, dass nur durch einen gemeinsamen Auftritt aller EU-Mitgliedsstaaten es in Zukunft möglich sein wird, den Herausforderungen in der direkten Nachbarschaft erfolgreich zu begegnen.

Auch das Jahr 2013 wird die Europäische Union herausfordern. Kroatien wird als 28. Mitglied der Gemeinschaft beitreten, die Bewältigung der Schuldenkrise in einzelnen Mitgliedsstaaten wird auf der Agenda bleiben und die Verabschiedung des gemeinsamen Finanzrahmen 2014-2020 wird eines der bestimmenden Themen im ersten Halbjahr sein.

Die Debatte über die künftigen EU-Programme und das dafür notwendige Budget ist bereits in vollem Gange. Die Mitgliedsstaaten ringen um den gigantischen EU-Haushalt bis 2020. Dieser mittelfristige Ausgabenplan legt die Obergrenzen für die Ausgaben der EU in den nächsten sieben Jahren fest. Es geht konkret um die Jahre 2014 bis 2020.

Der EU-Sondergipfel zum Haushaltsrahmen ist ergebnislos abgebrochen worden. Die Differenzen zwischen den verschiedenen Lagern von Nettozahlern, Empfängerstaaten und Befürwortern hoher Agrarsubventionen erwiesen sich im ersten Anlauf für eine Einigung als unüberbrückbar. Doch deswegen wird die EU nicht zahlungsunfähig.

Die EU-Kommission schlägt Ausgaben von bis zu 1,091 Billionen Euro vor. Diese Zahl hat EU-Ratspräsident Herman van Rompuy nach Protesten vieler Mitgliedsstaaten auf 1,010 Billionen Euro nach unten korrigiert. Einige EU-Staaten finden diese Kürzungen nicht weitreichend genug, andere Staaten sagen, die Streichungen wären zu weitgehend. Eines ist klar: Die Staats- und Regierungschefs können nicht einerseits Europa immer mehr Aufgaben übertragen, und es andererseits dann nicht angemessen finanzieren.

EU-Ausgaben

Der größte Ausgabenblock ist der Bereich „Nachhaltiges Wachstum“, zu dem auch die Kohäsionspolitik, also die Umverteilung zwischen reicheren und ärmeren Regionen in der EU, gehört. Mit dem Fonds werden strukturschwache Regionen im Osten und Süden Europas gefördert. Die Ausgaben für die Agrarpolitik sind mit 364 Milliarden Euro der zweitgrößte Block. Davon sind 269,8 Milliarden als Direktzahlungen an Landwirte und Marktausgaben vorgesehen.

EU-Einnahmen

Der Einnahmentopf wird zum einen aus einem festgesetzten Anteil der Mehrwertsteuereinnahmen der EU-Staaten gespeist. Hinzu kommen Zölle, die von der EU auf Warenimporte erhoben werden, sowie Strafzahlungen von Firmen, die gegen EU-Recht verstoßen haben. Aber zum größten Teil wird die Summe von den EU-Ländern aufgebracht. Die Zahlungen der Mitgliedstaaten machen knapp drei Viertel des EU-Budgets aus. Doch rund 80 Prozent des Geldes, das Brüssel erhält, fließt in die Mitgliedsstaaten zurück. Deswegen ist es richtig, dass von deutscher Seite die Gelegenheit genutzt wird, um neue Kontrollmechanismen in das europäische Budgetrecht einzubeziehen. Heftiger Widerstand der Empfängerländer von Strukturfördermitteln, die Misstrauen wittern und zusätzliche Bürokratie beklagen, ist dabei vorprogrammiert. Aber es geht mit dem neuen Finanzrahmen ab 2014 auch darum, den Sprung aus der Krise hinzubekommen und das zur Verfügung stehende Geld sinnvoll und nachhaltig zu investieren.

Fakt ist auch, dass die EU noch nie so früh vor Ablauf der aktuellen Förderperiode einen mehrjährigen Haushaltsplan aufgestellt hat. Die letzten Finanzrahmen wurden immer erst im Frühjahr vor Ablauf der Periode festgesetzt. Noch haben wir Zeit für eine Einigung, ohne dass der EU das Geld ausgeht. Eine Einigung im Frühjahr reicht, damit die Finanzierung der wichtigsten EU-Programme ab 2014 gesichert ist. Gelingt bis Ende des kommenden Jahres kein Abschluss der Verhandlungen, gelten die für das Jahr 2013 gültigen Höchstgrenzen plus einen Inflationsausgleich weiter. Ich bin sehr optimistisch, dass es den Staats- und Regierungschef gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und der Kommission gelingen wird, einen soliden Finanzrahmen aufzustellen.
Das zurückliegende Jahr war sicherlich eines der schwierigsten in der jüngeren Geschichte der Europäischen Integration. Trotz allem oder gerade wegen der prekären Situation ist deutlich geworden, dass es ohne einem vereinten Europa in einer globalisierten Welt nicht mehr geht. Im Gegenteil, es geht nur noch in einem gemeinsamen Europa. Im kommenden Jahr brauchen wir wieder alle Kraft, um an der europäischen Idee weiter zu arbeiten. Wir zählen dabei auf ihre Unterstützung. Denn von den Menschen und der gemeinsamen Idee lebt Europa.

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Markus Ferber, MdEP
Landesvorsitzender der Europa-Union Bayern e.V.