Der Europäischen Union wird bisweilen mangelnde Bürgernähe nachgesagt, besonders, wenn es um das Abkommen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – kurz TTIP – geht, das derzeit mit den USA ausgehandelt wird.

Dabei ist TTIP keine Bedrohung, sondern eine Antwort auf Europas Bedürfnisse. Bei TTIP geht es nicht darum, großen Unternehmen zu mehr Gewinnen zu verhelfen, sondern darum, Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen. Es geht nicht darum, Gesetze, die uns schützen, auszuhebeln, sondern sie effektiver zu gestalten. Und es geht auch nicht darum, unsere Souveränität zu opfern, sondern Europas Rolle in der Welt in Zeiten großer Umwälzungen dauerhaft zu stärken.

Zunächst zu den Arbeitsplätzen: Handelsabkommen fördern das Exportgeschäft und erhöhen so die Beschäftigungsmöglichkeiten. Nehmen wir zum Beispiel die deutsche Automobilindustrie. Mit TTIP wollen wir neben der Abschaffung der Zölle sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse beseitigen. Dies betrifft insbesondere technische Vorschriften und Zulassungsverfahren, die hohe Kosten für die Industrie verursachen. Wir wollen deshalb unter anderem eine größere Übereinstimmung der Sicherheitsvorschriften für Kraftfahrzeuge in der EU und den USA erreichen. Wenn wir das in TTIP verankern, erleichtern wir den Handel, senken die Kosten für Unternehmen und Verbraucher und tun gleichzeitig etwas für die Sicherheit. Die Nachfrage nach deutschen Fahrzeugen in den USA wird zunehmen und damit auch der Bedarf an Zubehörteilen und Dienstleistungen, der oft gerade von kleinen und mittleren Unternehmen gedeckt wird.

Bei der Diskussion um TTIP geht es mittlerweile überwiegend um Fragen der Lebensmittel- und Produktsicherheit und die Qualität öffentlicher Dienstleistungen. Eine Lockerung staatlicher Schutzmechanismen aber steht bei TTIP nicht zur Debatte, ganz im Gegenteil: Wir setzen in den sorgsam geführten Verhandlungen alles daran, sie aufrechtzuerhalten und ihre Wirksamkeit noch zu erhöhen.

Kein EU-Handelsabkommen, das dieser Devise folgt, hat je einen EU-Mitgliedsstaat daran gehindert, seine Gesundheitsfürsorge, sein Bildungswesen und seine Wasserversorgung so zu organisieren, wie er es für richtig hält und auch TTIP wird daran nichts ändern. Wir konzentrieren uns auf die Bereiche, in denen die EU und die USA bereits vergleichbare Vorschriften haben – Kraftfahrzeugsicherheit, Maschinenbau, medizinische Geräte – ohne von unseren hohen Standards abzugehen, und wir lassen die Bereiche außen vor, in denen eine Einigung nicht möglich ist. TTIP wird die europäischen Lebensmittelstandards und die Vorschriften über die Verwendung künstlicher Hormone in der Lebensmittelproduktion oder gentechnisch veränderte Organismen in keiner Weise beeinflussen.

Das heikelste Thema, bei dem die EU noch zu einer gemeinsamen Haltung finden muss, ist das Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat.

Europa tätigt und empfängt weltweit die meisten Auslandsinvestitionen. In der EU hängen Millionen von Arbeitsplätzen von diesen Investitionen ab. Ein internationales System, das Vertrauen schafft und Rechtsicherheit für Staaten und Investoren herstellt, ist in unser aller Interesse. Deshalb hat Deutschland 1959 auch den internationalen Investitionsschutz durch Schiedsgerichte erfunden. In den herkömmlichen Investitionsschutzabkommen wird jedoch nicht genügend berücksichtigt, dass Regierungen weiterhin die Möglichkeit haben müssen zu regulieren, wenn das öffentliche Interesse dies erfordert. Die Kommission prüft derzeit, wie der Investitionsschutz in TTIP aussehen müsste, damit ein ausgewogenes Kräfteverhältnis zustande kommt und etwaiger Missbrauch vermieden wird.

Ein umsichtiges Vorgehen in diesem Punkt sollte uns jedoch nicht von unserer generellen Zielsetzung ablenken. Viele scheinen zu glauben, dass TTIP Europa schwächen wird, doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.

Aufstrebende Volkswirtschaften wie China und Brasilien mindern Europas relativen Einfluss in der Welt und Europas Anteil an der Weltwirtschaft. Mit Hilfe von TTIP können wir europäische Standards und Werte schützen. TTIP eröffnet uns neue Möglichkeiten, die Welt im 21. Jahrhundert aktiv mitzugestalten.
Denn trotz aller Unterschiede haben die EU und die USA viele gemeinsame Werte – Demokratie, offene Märkte, Rechtstaatlichkeit und Achtung des Individuums: Werte, von denen wir möchten, dass sie sich in den Regeln, die unser internationales System bestimmen, widerspiegeln. Dieses Ziel können Europa und die USA nur gemeinsam erreichen.

Für die EU-Kommission heißt das, dass sie mit allem Nachdruck für Europas Interessen eintreten muss. Es heißt auch, dass jeder die Möglichkeit haben muss zu sehen und zu verstehen, worüber genau bei TTIP verhandelt wird und worüber nicht. Deshalb haben wir eine Reihe von Dokumenten ins Internet gestellt, die die EU-Verhandlungsstrategie verdeutlichen. Dies gab es bisher noch nie in laufenden Verhandlungen.

TTIP ist kein Allheilmittel, aber es wird die europäische Wirtschaft stärken und so neue Arbeitsplätze schaffen, und es schützt unsere Standards und Werte in einer Welt des Wandels und der Unwägbarkeiten.