Die Bürgerinnen und Bürger in Großbritannien haben bei den Parlamentswahlen ihre Stimme abgegeben. Dabei dachten sie an ihre Jobs, an Steuern und an das Gesundheitssystem. Das Thema Europa war nicht wahlentscheidend. Dennoch stellen sich viele Fragen: Wie sicher ist der Verbleib Großbritanniens in der EU? Wird Cameron nun noch viel mehr als früher zu einem Austritt seines Landes bereit sein? Er hat angekündigt, ein Referendum über den Verbleib in der EU bis Ende 2017 abhalten zu wollen.

Klar ist, die EU darf sich nicht erpressen lassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Großbritannien sich aus dem großen Kuchen, der die EU und ihre Regeln sind, nur die Rosinen herauspickt, also nur das, was London am besten schmeckt. Großbritannien muss den ganzen Kuchen wollen. Die Briten haben in der Vergangenheit bereits einige Ausnahmeregelungen erhalten. Sie haben den Euro und Schengen nicht. Doch wenn wir als EU bei Großbritannien weitere Zugeständnisse machen, werden andere Mitgliedsstaaten kommen und ebenfalls eine Sonderbehandlung fordern. Meiner Meinung nach muss es hier klare Grenzen geben.

Widerstand kommt insbesondere aus Großbritannien auch beim Thema EU-Flüchtlingspolitik. London kündigte gleich nach der Veröffentlichung des Vorschlags der Kommission an beim Quotensystem nicht mitmachen zu wollen. In der Flüchtlingsfrage versucht die konservative Regierung unter David Cameron wieder eigene Akzente zu setzen – gegen die EU. Auch hier will er die vertraglich zugesicherte Möglichkeit nutzen, in diesem Bereich an europäischen Gemeinschaftsaktionen nicht teilzunehmen. Es ist zu erwarten, dass Großbritannien ein doppeltes Spiel spielen wird. London will nicht mitmachen, aber die politische Debatte in Europa bestimmen wollen. Somit wird die Flüchtlingsagenda der EU auch ein erster Testfall für das Verhältnis der Briten zur EU nach den Wahlen werden.

Die Kommission unter Jean-Claude Juncker hat ein ebenso umfangreiches Strategiepapier auf den Tisch gelegt, das auch Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen vorschlägt. Es ist ein klares politisches Signal aus Brüssel: Europa und seine Mitgliedsstaaten muss nach den immer wiederkehrenden Flüchtlingstragödien im Mittelmeer endlich handeln. Ob sich im Ministerrat die nötige Mehrheit für den Quoten-Vorschlag zustande kommt, ist derzeit vollkommen offen. Es wird ein monatelanges politisches Tauziehen geben. Beim EU-Gipfel Ende Juni dürfte sich wahrscheinlich abzeichnen, wie weit die Mitgliedsstaaten bereit sind in der Flüchtlingspolitik zu gehen. Klar ist allerdings, dass die jetzige Drittstaatenregelung nicht funktioniert und durch ein neues, gerechteres System ersetzt werden muss.

Aber jede kurzfristige Maßnahme kann aber nur dann funktionieren, wenn sie von langfristigen Maßnahmen begleitet werden. Dazu gehört einerseits der Kampf gegen das zynische Geschäftsmodell der Schlepperbanden, eine kluge und umsichtige Reform des europäischen Asylrechts und entsprechende außen- und entwicklungspolitische Maßnahmen. Schließlich kann es uns nicht allein darum gehen, die Symptome zu bekämpfen. Stattdessen müssen wir vor allem auch die Ursachen der Probleme in Angriff nehmen. Politischer und wirtschaftlicher Missstand sind Hauptursachen für die Migrationsbewegung aus Drittstaaten, die wir derzeit beobachten. Wenn man diese Auslöser effektiv behebt, wird der Druck auf das europäische Asylsystem automatisch abnehmen. Hier müssen Außen-, Sicherheits-, Handels- und Entwicklungspolitik im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes ineinandergreifen.

Die EU-Flüchtlingspolitik ist ein hochaktuelles und eines der wichtigsten Themen auf der EU-Agenda. Deswegen werden wir es auch zu einem der Schwerpunkte unserer diesjährigen Landesversammlung in Ansbach im Juni machen. Ich freue mich auf Ihre Meinung und die Diskussion mit unseren Mitgliedern in Ansbach zu diesem und anderen Themen.

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Ihr Markus Ferber, MdEP
Landesvorsitzender Europa-Union Bayern