Europa ist gleichermaßen eine Notwendigkeit wie eine Herausforderung. Europa als Notwendigkeit ist ein Auftrag der Geschichte. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Jubiläen ins Gedächtnis ruft, die wir im Jahr 2014 begehen – vor 100 Jahre begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg und vor 25 Jahren fiel die Berliner Mauer. Europa war als Friedensprojekt angelegt und erklärt sich aus der bewegten Geschichte des europäischen Kontinents. Aber Europa darf sich nicht ausschließlich aus der Vergangenheit legitimieren, denn auch im 21. Jahrhundert drängen große Herausforderungen.

Zukunftsthemen wie Datenschutz, Klimaschutz oder die Regulierung der Finanzmärkte erfordern gemeinsame europäische Ansätze. Deswegen ist die Europäische Union auch kein Relikt des 20. Jahrhunderts, sondern auch ein Projekt für das 21. Jahrhundert. Dabei müssen wir uns immer die Frage stellen, welches Europa wir wollen. Denn bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai dieses Jahres ging es um wesentlich mehr als bei den zurückliegenden Wahlen zum Europäischen Parlament. Es ging um die Frage, wer der nächste EU-Kommissionspräsident werden wird und welchen Weg das europäische Projekt gehen soll. In vielen Ländern machten sich Rechtspopulisten auf, das Rad der europäischen Einigung zurückzudrehen, was mir große Sorge bereitet. Die Parteien, die konstruktiv an unserem gemeinsamen europäischen Haus weiterbauen wollen, dürfen sich jetzt nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil: Sie müssen jetzt Flagge für Europa und die europäische Einigung zeigen.
Nach der Wahl geht die Arbeit in Europa jetzt richtig los: Nach seiner Konstituierung wird das Europäische Parlament in Kürze den künftigen Präsidenten der Europäischen Kommission wählen. Die Besonderheit dieses Europawahlkampfes war die Personalisierung mit europäischen Spitzenkandidaten der europäischen Parteienfamilien. Als Europa Union Bayern erwarten wir vom Europäischen Rat nun, dass er der Entscheidung der Bürger Rechnung trägt und dem Parlament einen der Spitzenkandidaten zur Abstimmung vorschlägt. Nur einer der Spitzenkandidaten kommt als künftiger Kommissionspräsident in Frage. Jetzt gilt es auch die vielen Hausaufgaben anzugehen, um die Akzeptanz für das europäische Projekt wieder zu erhöhen und voranzubringen. In den kommenden Jahren wird es darum gehen, Vertrauen in die EU zurückzugewinnen. Damit verbunden ist eine Debatte über die Aufgaben und Kompetenzen der EU. Eine europäische Reformagenda muss dringend her: Dazu gehört die Schaffung von nachhaltigen Arbeitsplätzen, zusätzliche Wachstumsimpulse und Infrastrukturprojekte.

Außenpolitik, Daten- und Verbraucherschutz

Eine der wichtigsten Aufgaben Europas ist es im 21. Jahrhundert Friede, Freiheit und Menschenrechte auch in der unmittelbaren Nachbarschaft zu etablieren. Der Druck auf die EU wächst, sich angesichts der Lage in der Ukraine viel stärker für die Stabilisierung ihrer direkten Nachbarschaft einzusetzen. Doch nicht nur die Nachbarschaft im Osten ist in Aufruhr auch im Süden Europas, vor allem in Libyen und Syrien, ist die Lage instabil.
Generell ist eine Neuregelung der EU-Datenschutzvorschriften überfällig, schließlich stammte die letzte Neuerung aus dem Jahr 1995 und somit aus einer Ära vor dem Bestehen weltweit tätiger Internetgiganten wie dem US-Unternehmen Google. Doch nicht nur der Sammelwut der Konzerne, sondern etwa auch des US-Geheimdienstes NSA gegenüber fühlen sich viele EU-Bürger schutzlos. Nur mit einer einheitlichen Europäischen Datenschutzreform, die möglichst bald verabschiedet wird, werden den Verbrauchern eine bessere Kontrolle über die eigenen Daten ermöglicht oder auch einen Anspruch auf Löschung ihrer Daten aus sozialen Netzwerken wie Facebook gesichert werden. Aber das wird nur gelingen, wenn wir die europäische Ebene mit der nötigen Dynamik ausstatten, um der technischen Entwicklung entgegentreten zu können.
Gleichzeitig verhandelt die EU mit den USA über ein Freihandelsabkommen. Befürworter preisen die Vorteile für die Wirtschaft. Kritiker warnen vor einer massiven Schwächung von Verbraucher- und Umweltschutzstandards durch das Abkommen. So wie das Freihandelsabkommen derzeit verhandelt wird, im Geheimen und ohne Transparenz, schürt es Ängste und Misstrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Gegen Ängste und Vorbehalte hilft nur Transparenz und Information. Die EU muss die Bürgerinnen und Bürger informieren. Das ist das beste Mittel gegen Fehlinformationen die über das Handelsabkommen durch Europa geistern.
Sie sehen, die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen. Ich danke allen Mitgliedern der Europa Union Bayern e.V. sich diesen Herausforderungen im Kleinen vor Ort stellen und für Ihren unermüdlichen Einsatz für den europäischen Gedanken.

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Markus Ferber, MdEP
Landesvorsitzender der Europa Union Bayern e.V.