Auf Grund der ernsthaften Spannungen im europäischen Währungsraum stand die Europäische Union 2011 unter Dauerstress. Die EU arbeitet mit Hochdruck daran, dass ähnliche Krisen, wie wir sie in letzter Zeit erlebt haben, in Zukunft vermieden werden und hat neben dem ständigen Krisenmanagement in diesem Jahr auch zahlreiche Reformen auf den Weg gebracht, wie die Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes und die Stärkung der wirtschafts- und haushaltspolitischen Koordinierung.

Diese Maßnahmen waren wichtige Schritte und angesichts des drohenden wirtschaftlichen und politischen Desasters dringend notwendig. Allmählich ist jedoch die Erkenntnis gewachsen, dass auch diese Maßnahmen nicht in dem erwünschten Maße die Probleme lösen, vor denen die EU momentan steht. Grundlegende Konstruktionsfehler der Wirtschafts- und Währungsunion müssen im Interesse der Stabilitätssicherung beseitigt werden und damit die Krise an der Wurzel gepackt werden. Das Ziel ist mehr Disziplin in der Stabilitätspolitik, wirtschaftliche Konvergenz, eine bessere Steuerung, effiziente Sanktionsmöglichkeiten gegen Haushalts- und Defizitsünder und mehr Rechte für die Europäische Kommission, denn die Regeln und die strenge Überwachung für eine stabile Euro-Zone kann nicht mehr den Mitgliedsstaaten überlassen werden. Die rasanten Entwicklungen und Ereignisse der letzten Jahre machen eine Reform notwendig, um eine größtmögliche rechtliche Verbindlichkeit zu erreichen.

Die von Deutschland und Frankreich geforderte Änderung des EU-Vertrages der 27 Mitgliedsstaaten scheiterte auf dem großen Euro-Gipfel im Dezember am Widerstand Großbritanniens. Der britische Premierminister David Cameron verweigerte die Zustimmung zur EU-Vertragsänderung, weil er kein Vetorecht bei der Finanzmarktregulierung durchsetzen konnte. Es war absolut richtig, dass Angela Merkel auf diese egoistische Haltung der Briten keine Rücksicht genommen hat. Halbherzige Reformversuche würden mittelfristig mit großer Wahrscheinlichkeit eine erneute Krise in der Euro-Zone hervorrufen und es gäbe zumindest das heutige Euro-Europa nicht mehr lange. Und mit einem Zerfall des Euro-Raums drohen die mühsam erkämpften Errungenschaften der europäischen Nachkriegsgeschichte auf dem Spiel zu stehen.

Deswegen ist es ein großer Erfolg, dass sich den 17 Euro-Staaten alle Nicht-Euro-Staaten, außer Großbritannien, dem eigenen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin anschließen. Damit ziehen wir gemeinsam die Lehren aus der schweren Schuldenkrise und geben ein starkes politisches Signal für eine engere Zusammenarbeit. Die EU-Staaten haben damit den Umbau der Euro-Zone zu einer Fiskalunion ein großes Stück vorangetrieben und es war gleichzeitig der Startschuss zur Neugründung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes – allerdings um den Preis einer Spaltung der EU. Zugleich haben sich die EU-Regierungen auch auf einige Schritte verständigt, um angeschlagene Euro-Staaten notfalls besser unterstützen zu können. Dazu gehört die auf Juli 2012 vorgezogene Aktivierung des dauerhaften Euro-Rettungsschirms ESM und die stärkere Einbindung des IWF in die Stabilisierung der Euro-Zone.

Unsere Aufgabe muss es jetzt auch sein, nicht nur über Krisen, Ängste und Schwierigkeiten zu sprechen. Der Mehrwert der Gemeinschaft muss wieder deutlich gemacht und die Entwicklungsmöglichkeiten genutzt werden. Nur geeint und mit handlungsfähigen europäischen Institutionen werden wir unseren Platz auf internationaler Ebene behaupten und unsere Interessen gegenüber Staaten wir den USA, Russland, Indien und China durchzusetzen. Gerade wegen des äußerst schwierigen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeldes in der sich die EU derzeit befindet, geht es jetzt auch für uns als Europa Union darum, für eine gemeinsame europäische Lösung zu kämpfen, damit nicht durch den permanent ausgerufenen Krisenzustand und die Stimmungsmache gegen den Euro und Europa das Vertrauen in das gesamte europäische Projekt verloren geht. Wir sind auf gegenseitige europäische Solidarität angewiesen. Sonst droht das einmalige Projekt der europäischen Einigung zu zerbrechen. Doch wir brauchen Europa, denn es ist die beste Antwort auf die Probleme unserer Zeit.

Neben der Schuldenkrise stand die EU 2011 angesichts der Ereignisse in der arabischen Welt auch vor den großen Herausforderungen die Stabilisierung ihres unmittelbaren Umfeldes und die Festigung der zahlreichen konfliktträchtigen Schütterzonen, an die sie in den letzten Jahren herangerückt ist, zu unterstützen. Aus dem arabischen Frühling ist ein Winter geworden. Seit knapp einem Jahr erleben wir wie die Menschen in Nordafrika und im Nahen Osten auf die Straßen gehen und für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie kämpfen. Die Regionen verändern sich in einer Weise, wie man es sich in Europa immer gewünscht hatte. Die Aufstände haben ihren Ursprung in der Gesellschaft selbst. Junge, weltoffene Menschen fordern Freiheit und Demokratie und verlangen nach einer neuartigen Politik. Die Ereignisse in unserer direkten Nachbarschaft erhöhen den Druck auf die EU und zwingen uns zu einer kritischen Analyse unserer Beziehungen zu den Staaten rund um das Mittelmeer, dem Nahen Osten und Osteuropa, denn die Hoffnungen und Zukunftsperspektiven dieser Länder sind für Europa von unmittelbarer Relevanz.

Für Europa bedeutet der Wandel in der arabischen Welt viele sicherheitstechnische und strategische Herausforderungen. Auf kurze Sicht muss die EU eine aktive Rolle als Akteurin einnehmen und in dieser frühen Phase liberale und demokratische Kräfte unterstützen und ihr Know-how, beispielsweise zur Abhaltung freier Wahlen, Rechtsstaatlichkeit sowie unabhängigen Medien einbringen. Die langfristigen Konsequenzen des arabischen Frühlings lassen sich noch nicht absehen. Doch indem wir uns den neuen Herausforderungen im arabischen Raum stellen, werden wir einen wichtigen Beitrag zur Sicherheitsstruktur leisten. Deshalb hat die EU ein großes Interesse daran, die jungen Revolutionen aktiv in demokratische Strukturen zu begleiten und dem Aufkommen von Konterrevolutionen von islamistischen Kräften entgegenzutreten. Vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftskrise und den Sparmaßnahmen in den EU-Mitgliedsstaaten tut man sich sicherlich schwer, das politische und wirtschaftliche Kapital sowie die Kreativität aufzubringen, welche diese neue Situation in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft erfordern. Die Geschichte wird es aber nicht verzeihen, wenn Europa diese Herausforderungen nicht entschlossen angeht.

Als Europa Union haben wir uns immer für den Euro und Europa eingesetzt, den europäischen Prozess von Anfang an aktiv mitgestaltet und Freiheits- und Demokratiebestrebungen unterstützt. Der vor Europa liegende Weg wird kein leichter sein und wird viel Geduld bedürfen. Doch diese anstehenden Herausforderungen müssen wir pro-aktiv angehen und dabei auch die aktuellen Sorgen der Bürger ernst nehmen. Hier nimmt die Europa Union als Bindeglied zwischen den Menschen in Europa und den Institutionen der Europäischen Union eine enorm wichtige Rolle ein, als überparteiliche Bürgerbewegung mit Bürgerinnen und Bürger, aber auch Verbände, Organisationen und Parteien, gemeinsam in den Dialog über die Zukunft Europas zu treten.

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Markus Ferber, MdEP

Vorsitzender der Europa-Union Bayern e.V.