Am 22. Oktober war die Bürgerdialogreihe „TTIP – wir müssen reden!“ zu Gast in der Münchner Hanns-Seidel-Stiftung. Der große Saal des Konferenzzentrums war bis auf den letzten Platz gefüllt. Das Publikum hatte viele Fragen im Gepäck und nutzte ausgiebig die Gelegenheit diese mit Expertinnen und Experten aus dem Pro- und Kontralager zu diskutieren.
Markus Ferber, Vorsitzender der Europa-Union Bayern, stellte in seiner Begrüßung das Konzept der Bürgerdialoge und die vielfältigen Partner der Reihe vor. Nach einem Input der Europäischen Kommission und einer einführenden Podiumsdiskussion diskutierten die Bürger ihre Fragen und Standpunkte zum Freihandelsabkommen in offenen Gesprächskreisen mit den eingeladenen Fachleuten.

Steffen Schulz von der Vertretung der Europäischen Kommission in München erläuterte den Verhandlungsprozess und unterstrich, dass das fertig verhandelte Abkommen nach jetzigem Stand nicht nur vom Europäischen Parlament, sondern von allen Gesetzgebern der 28 EU-Mitgliedstaaten angenommen werden müsse.  In der Europäischen Union hingen 30 Millionen Arbeitsplätze an der Exportwirtschaft, sagte Schulz mit Blick auf die wirtschaftliche Bedeutung des Abkommens.

Aktuelle Studien zeigten, dass das TTIP-Abkommen nur einen relativ geringen wirtschaftlichen Zuwachs erwarten lasse, relativierte der Europaabgeordnete Klaus Buchner von der Ökologischen Demokratischen Partei. Außerdem zeigten die Erfahrungen des NAFTA-Abkommens zwischen den USA und Mexiko, dass Freihandelsabkommen auch negative wirtschaftliche Effekte haben könnten.

Walter Schlebusch von der Giesecke & Devrient GmbH sieht in TTIP vor allem die Chance, Arbeitsplätze in exportorientierten Branchen langfristig zu sichern. „Wir begrüßen jedes Freihandelsabkommen, weil es uns hilft Arbeitsplätze zu halten“, so der Unternehmer.

Karl Bär vom Umweltinstitut München und Klaus Buchner kritisierten die im Abkommen vorgesehenen Schiedsgerichte. „Sonderklagerechte von internationalen Investoren sind ein Problem“, so Buchner. Zudem könnte vor Schiedsgerichten auf Entschädigung für einen für die Zukunft erwarteten entgangenen Gewinn geklagt werden, vor staatlichen Gerichten hingegen lediglich auf den entstandenen Schaden. Auch die neuen Vorschläge der Kommission lehnte er ab. Befürworter weisen allerdings auf den Fakt hin, dass nur geklagt werden kann, wenn eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung mit Inländern vorliegt, nicht also wenn nationale oder der europäische Gesetzgeber Regelungen finden, die alle Unternehmen betreffen.

Karl Bär befürchtet, dass im Laufe der TTIP-Verhandlungen Zugeständnisse im Landwirtschaftsbereich gegen Zugeständnisse in anderen Bereichen gemacht werden. Beispielsweise seien Substanzen mit wachstumshormoneller Wirkung in der EU anders als in den USA aus Vorsorgegründen verboten. In den USA würde das europäische Vorsorgeprinzip für unwissenschaftlich gehalten und als willkürliche Einschränkung des Handels zu Lasten der Landwirtschaft gesehen.

Der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) teilt diese Sorge nicht. „Bestehende Regeln werden nicht geändert“, so Ferber. Bereits bei CETA, dem Freihandelsabkommen mit Kanada, sei festgeschrieben, dass hormonbelastetes Fleisch nicht in die EU eingeführt werden dürfe und europäische Kontrolleure dies bereits in Kanada überprüfen dürften. „Entweder es ist so, wie wir es wollen, oder es gibt das Abkommen nicht“, unterstrich Ferber.

Die bei TTIP geplante regulatorische Kooperation sieht Ferber positiv, da sie überhaupt erst Regeln festlege. Regulatorische Kooperation finde bereits informell statt. Er sieht nicht die Gefahr, dass die Gesetzgebung beeinflusst werden könne, da sowohl EU-Parlament als auch die US-Parlamente dieses nicht zulassen würden. Karl Bär wandte ein, dass es in den USA bereits einen ähnlichen Mechanismus gebe, das „Office on Information and Regulatory Affairs“, das Regulierungen der US-Bundesbehörden auf deren Auswirkung auf die Wirtschaft hin überprüfe. Diese habe bisher besonders im Umweltbereich viele Regulierungsvorhaben der US-Bundesbehörden abgeschwächt.

Dies und weitere Themen vertiefte das Publikum im zweiten Teil der Veranstaltung in den Themenräumen zu den Bereichen  „Demokratie, Transparenz, Legitimität“, „Handel, Investitionen, Wettbewerb“ und „Standards und Normen bei TTIP“ mit den Podiumsteilnehmern sowie Linn Selle vom Verbraucherzentrale Bundesverband, dem European Affairs Consultant Walter Brinkmann, Karl Haeusgen (HAWE Hydraulik SE, Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau), Jürgen Maier vom Bündnis TTIP-Unfairhandelbar, Michael Koller, von der MMM Group und Ludwig Maier vom Deutschen Gewerkschaftsbund.

Walter Brinkmann, stellvertretender Vorsitzender der Europa-Union München, lud das interessierte Publikum in seinem Schlusswort ein, die Diskussion fortzuführen und sich weiter zu informieren.

Die überparteiliche Europa-Union Deutschland veranstaltete den Bürgerdialog in Zusammenarbeit mit der Europa-Union Bayern, ihrem Bezirksverband München und der Hanns-Seidel-Stiftung.