Bei frostigen minus 21 Grad saßen damals im Dezember 1946 die Abgeordneten, die in nicht einmal einem halben Jahr die Bayerische Verfassung ausgearbeitet hatten, in der Aula der LMU München zusammen und feierten die Ausfertigung des Dokuments, das den Freistaat Bayern prägen und gestalten sollte wie kein anderes. Lediglich ein Bretterverschlag soll damals den Schneeregen von oben abgehalten haben, während die Demokratie ausgegossen wurde.
Die Schüler der FOS/BOS Straubing haben heute freilich ein festes Dach über dem Kopf und zudem war es am vergangenen Freitag, einem Tag nachdem die Bayerische Verfassung vor 70 Jahren offiziell in Kraft getreten ist, zumindest teilweise sonnig. Beste Voraussetzungen also, um dieses Jubiläum mit einem großen Projekttag zu würdigen. „Es ist ein Tag, der unseren Schülern auch die Wichtigkeit einer Rückbesinnung auf die in unserer bayerischen Verfassung verankerten Werte verdeutlichen soll“, so Initiator des Projekts Christoph Hofmeier. „Wir wollen den Schülern damit auch zeigen, wie politische Rahmenbedingungen äußerst positiv auf die Entfaltung einer Gesellschaft wirken können.“ Zu Gast waren Bürgermeisterin Maria Stelzl, Oberbürgermeister a.D. Reinhold Perlak und die Kreisvorsitzende der Europa-Union Bayern, Christine Sporrer-Dorner, um diesem Jubiläum einen würdigen Rahmen zu geben.
Den Beginn der Veranstaltung bildeten insgesamt 24 von den Lehrkräften angebotene Workshops, in denen sich die Schüler der 12. Jahrgangsstufe zentralen Inhalten und historischen Kontexten von unterschiedlichen Perspektiven aus nähern konnten. Dabei standen beispielsweise wichtige Verfassungsorgane wie der Bayerische Landtag und das bayerische Wahlsystem als „Matheschmankerl“ auf dem Programm. Aber auch die Konfliktlinien innerhalb des föderalistischen Systems und das Spannungsverhältnis zwischen Grundgesetz und der bayerischen Verfassung wurden beleuchtet oder die Reise führte einen Schritt weiter zurück ins Jahr 1918, der Geburtsstunde des heutigen Freistaats. Welche Wahl die Schüler ihren Interessen nach auch trafen, am Ende wurde die Wirkung des ausgearbeiteten Papiers erfahrbar und zudem kritisch hinterfragt, inwieweit die in der Präambel formulierte Zielsetzung, „den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauernd zu sichern“, heute erreicht ist.
Bemerkenswert fanden die geladenen Gäste, die ihren Besuch bei den Schülern mit kleinen Impulsvorträgen gestalteten, dass die Verfassungsväter in vielen Dingen schon Visionen hatten, die der heutigen Realität sehr nahe kommen. Beispielsweise lobte Reinhold Perlak den bereits damals formulierten europäischen Gedanken. Maria Stelzl erinnerte daran, dass schon in der Verfassung die junge Generation als wichtigstes Gut bezeichnet wurde und wünscht sich mehr Toleranz ihr gegenüber, was bei den Zuhörern sehr positiv wahrgenommen wurde. „Es kommt auf gegenseitige Toleranz zwischen den Generationen an“, bringt sie auf den Punkt. Und genau die Wechselwirkung zwischen fest verankerter Grundordnung und gelebter Praxis konnte der gelungene Tag zur bayerischen Verfassung leisten. Christine Sporrer-Dorner bekräftigte die heutige Rolle Bayerns im Herzen Europas und ermutigte die Schülerinnen und Schüler, die EU aktiv mitzugestalten. Sie nannte auch Beispiele, wo bayerische Interessen in Brüssel gehört wurden. Zwar sei die Einflussnahme nicht immer leicht, räumt sie ein, jedoch gebe es eine Vielzahl an Interessensvertretungen, die am Willensbildungsprozess mitwirken. Freilich ist es ein langwieriger Prozess, genau diese Vielzahl an verschiedenen Interessen in einem Kompromiss zu einem für alle befriedigenden Ergebnis zu führen, weshalb politische Prozesse heute so lange dauern. Die Verfassungsväter von 1946 schafften das noch schneller – damals war die Welt zugegebenermaßen aber auch noch einfacher. Die Verfassung ist ein Kompromiss verschiedener Positionen. Die beiden großen Volksparteien CSU und SPD haben in selten gesehener Konstruktivität zusammengearbeitet und eine Verfassung geschaffen, die von der überwältigenden Mehrheit der Bayern angenommen wurde. Die Lehrer sollen verfassungsmäßig die Schülerinnen und Schüler zu „Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne“ erziehen. Alle Teilnehmer des Projekttages zur Bayerischen Verfassung konnten erfahren, dass ebendiese unsere Bayerische Verfassung viel „Wahres, Gutes und Schönes“ enthält. Es liegt allein am Einzelnen, sowohl privat als auch politisch, dieses theoretische Papier Wirklichkeit werden zu lassen.