Der Dipl.-Pol. Thorsten Kerl, Studienleiter der Europäischen Akademie Bayern , referierte am Montag, den 18. April auf Einladung des Kreisverbandes der Europa-Union Bad Tölz – Wolfratshausen zum Thema „Die Europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik“.
Der Kreisvorsitzende der Europa-Union Jürgen Göbel freute sich in seiner Begrüßung über die zahlreich erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörer, zeigt es doch das große Interesse der Bevölkerung an diesem für Deutschland, ja die gesamte Europäischen Union hochaktuellen Thema.
Der Referent Thorsten Kerl umriss einleitend die Dimension der weltweiten Flüchtlingsproblematik , um in der Folge ganz konkret auf die Asyl- und Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union und die zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen näher einzugehen. Er erklärte den Grundsatz der Nichtzurückweisung in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der Europäischen Menschenrechtskonvention . Beide Konventionen legen fest, wer als „Flüchtling“ gilt und welchen rechtlichen Schutz, welche Hilfe und welche sozialen Rechte diesem Personenkreis von den Unterzeichnerstaaten gewährt werden soll. Kerl erläuterte weiterhin die vier Säulen des Haager Programms von 2004, die Aufnahmerichtlinie mit Fixierung von Mindeststandards für die Versorgung von Flüchtlingen, die Asylverfahrensrichtlinie und die Qualifikationsrichtlinie mit Entscheidungsgrundlagen für den „Subsidiären Schutz“. Die Registrierungspflicht im sog. Abkommen von Dublin verpflichtet die europäischen Mitgliedstaaten zur Registrierung von Flüchtlingen und die Abwicklung von Asylanträgen in dem Land der EU, in dem der Flüchtling erstmalig europäischen Boden betritt. In dieser Übereinkunft verabredete die Europäische Kommission ebenfalls bis 2012 ein genormtes Asylverfahren und einen einheitlichen Rechtsstatus für Flüchtlinge zu realisieren. Leider wurde dieses Vorhaben bis heute nicht umgesetzt. Aufgrund dieser Tatsache hagelt es von allen Seiten harsche Kritik. Das Haager Programm sei in seinen Schwerpunkten auf eine Reduzierung der Migration und Kontrolle ausgelegt und Anträge auf Asyl würden damit unmöglich gemacht. Vorschläge zur Reform, wie beispielsweise ein „Fairness-Mechanismus“, d.h. Entlastung besonders belasteter Länder und ein zentrales EU-Asyl- u. Entscheidungssystem mit Sitz in Brüssel sind bisher lediglich Optionen für eine Diskussionsgrundlage, aber kein konkreter Richtlinienvorschlag. Anhand eindrucksvoller Graphiken belegte der Referent die Anzahl der illegalen Grenzübertritte in die EU und die Entwicklung der Zahl von Asylanträgen seit 2008. So stieg die Zahl von Asylerstanträgen in der europäischen Union von 2014 auf 2015 von 562.000 auf 1.255.000 an. Interessant war in diesem Zusammenhang, dass die Anzahl von Asylbewerbern je eine Million Einwohner im 3. Quartal 2015 in Ungarn mit etwa 11.000 mit weitem Abstand am höchsten war. Im Vergleich dazu lag Deutschland auf Platz 5 mit lediglich 1.334 Asylbewerbern.
Im weiteren Verlauf seines Vortrages ging Kerl näher auf die Europäische Grenzschutzagentur FRONTEX und deren Operationsgebiete ein. Frontex koordiniert u.a.die Rückführung von Flüchtlingen in Zusammenarbeit zwischen der Türkei und Griechenland. In diesem Kontext erklärte der Referent das EU-Türkei-Abkommen über die Rücknahme von Flüchtlingen, Bekämpfung des Terrorismus, Fortschritte bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU und erleichterte Einreisebestimmungen für türkische Bürger in die EU.. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Türkei wegen ihrer Behandlung von Flüchtlingen und Verletzung von Menschenrechten. Mit Bedauern musste der Referent feststellen, dass die von den europäischen Innenministern mit qualifizierter Mehrheit gegen die Stimmen der Slowakei, Tschechiens, Ungarns und Rumäniens beschlossene Verteilung von 160.000 Flüchtlingen von den sog. „hotspots“ auf andere Staaten in der EU bis heute mit Ausnahme von lediglich 600 Personen nicht umgesetzt wurde.
Zum Ende seines Referates stellte sich die Frage: „Wie geht es weiter ?“
Es ist zu befürchten, dass 2016 mehr Flüchtlinge als 2015 zu erwarten sind mit einer Verschiebung der Flüchtlingsroute Ägäis – Balkan über das Mittelmeer auf die italienische Insel Lampedusa.
Eine große Frage ist auch: „Wie klappt die zukünftige Zusammenarbeit EU – Türkei ?“
Erschwerend wirken sich auch die Klagen einiger Mitgliedsländer der EU gegen die EU-Verteilungsquoten aus. Die fehlende Solidarität in der Europäischen Union behinderte leider bisher den durchaus schwierigen Weg hin zu einer solidarischen Lösung des Flüchtlingsproblems. Und die Notwendigkeit der Berücksichtigung nationaler wie internationaler Rechtsgrundlagen erlaubt keine einfachen populistischen Antworten.
Übereinstimmend war der Konsens in der abschließenden Diskussion, dass Europa das Flüchtlingsproblem noch über Jahre hinaus beschäftigen wird. Aus der Sicht eines der Wortmeldungen bleibt die Hoffnung, dass die Europäische Union trotz des enormen Drucks ihre über die letzten 70 Jahre mühsam erkämpfte Einheit in Frieden und Freiheit bewahrt und zu einer verstärkten Integration findet.