Die Europäische Union ist in den vergangenen Jahren von den Bürgern als wenig handlungsfähig wahrgenommen worden. Die hohe Wahlbeteiligung bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2019 hat insbesondere die Bedeutung des Europäischen Parlaments als Vertretung der Bürger und die Erwartungen an die europäischen Institutionen unterstrichen. Die deutsche Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020 bietet die Chance, diesen Erwartungen gerecht zu werden.

Vor diesem Hintergrund werden große Herausforderungen gemeistert werden müssen:

Das vorgeschlagene Wiederaufbauprogramm für die europäische Wirtschaft muss beschlossen werden. Dafür sollte eine gemeinsame, zweckgebundene Anleihe durch die Kommission begeben werden, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, Transformationsprozesse im Zusammenhang mit den Zielen der Klimapolitik zu unterstützen und in zukunftsfeste Infrastruktur zu investieren. Die Mittel müssen zielgerichtet eingesetzt und ihr Einsatz vom Europäischen Parlament kontrolliert werden. Staaten, die Mittel aus dem Programm beantragen, müssen höchsten Anforderungen hinsichtlich ihrer demokratischen und rechtstaatlichen Verfasstheit erfüllen.

In der 2. Jahreshälfte 2020 muss auch der Mittelfristige Finanzrahmen beschlossen werden. Er sollte ermöglichen, dass die Ziele des ‚Green Deal ‘, des sozialen Zusammenhalts und der Digitalisierung erreicht werden können. Daher wird der bisherige Finanzrahmen von 1% BIP wesentlich überschritten und der EU-Haushalt mit höheren Eigenmitteln gestärkt werden müssen.

Als Konsequenz aus der Corona-Pandemie muss die EU eine größere Kompetenz bei der Entwicklung gemeinsamer Katastrophenschutz-, Risikovorsorge- und Krisenaktionsplänen erhalten. Dies soll u.a. eine verlässliche Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln, sowie einer europaweiten Bevorratung unverzichtbarer medizinischer Materialien, Medikamenten und Geräten sicherstellen. Ein europäisches Infektionsschutzgesetz sollte einen verbindlichen Rahmen festlegen für europaweite oder regionale Shutdown-Regelungen in Abhängigkeit von epidemiologischen Kriterien.

Die geplante Konferenz zur Zukunft Europas muss mit einem klaren Mandat auf den Weg gebracht werden, das kurzfristig umsetzbare Maßnahmen beinhaltet, die die EU handlungsfähiger machen und im Rahmen der Verträge umgesetzt werden können. Hierzu gehört eine Stärkung des Europäischen Parlaments durch ein einheitliches europäisches Wahlrecht, eine Begrenzung der Notwendigkeit der Einstimmigkeit in Fragen der Außen-, Sicherheits- und Steuerpolitik. Auf den Ergebnissen der Konferenz aufbauend sollte ein Konvent die angedachten Maßnahmen, die Vertragsänderungen erfordern, umsetzen.

Darüber hinaus muss die deutsche Ratspräsidentschaft auch die laufenden Themen voranbringen: Brexit, Afrika-Strategie, China-Strategie, Reform des europäischen Asylsystems, Vervollständigung der Banken- und Kapitalmarktunion und auch die Verfahren zur Überprüfung der Rechtstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten.

Oberstes Ziel sollte jedoch sein, die Europäische Union handlungsfähiger zu machen, denn das erwarten die Bürger.

Walter Brinkmann, BV München