Interview von Hr. Dr. Roger Martin mit dem Bezirksvorsitzender der Europa-Union Oberfranken Rainer Taubert.

1. Zum Brexit:
Mich persönlich hat der Brexit unheimlich traurig gemacht und enttäuscht. 30 Jahre lang habe ich mit meiner Frau und unseren Kindern sämtliche Ferien in unserer Wohnung in London verbracht und einige ganz enge Freundschaften geschlossen. Richtiggehend schockiert war ich aber erst als ein vormaliges Mitglied des Kabinetts von Margaret Thatcher im Zusammenhang mit dem Status Gibraltars säbelrasselnd darauf verwies, dass eine andere Premierministerin schon einmal für eine kleine Insel gegen einen vormaligen Verbündeten in den Krieg gezogen war. Sie erinnern sich an den Falklandkrieg?
Da war es mir klar: Der Brexit markiert einen Bruch in der Erfolgsgeschichte der Völkerverständigung und des Europäischen Einigungswerks, welches uns 70 Jahre Frieden und Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand in der Welt gesichert hat. Wie die Folgen des Brexit für das Vereinigte Königreich und für den Rest Europas aussehen, lässt sich zum heutigen Zeitpunkt, noch bevor die Verhandlungen aufgenommen wurden, natürlich nicht sagen. Aber wie wollen die Briten damit auskommen, dass sie mittlerweile alle wichtigen internationalen Verträge über Handel und Verkehr als Teil der EU miteinander und mit Drittstaaten abgeschlossen haben, dass sie ohne diese Rechtsgrundlage keine Lande- und Überflugrechte über Länder und ganze Kontinente besitzen auch nicht über die USA? Wie wollen wir restlichen 27 EU Staaten damit auskommen, dass uns ohne das Vereinigte Königreich einer der größten Nettozahler an die EU fehlt? Was wird mit dem Verteidigungsbeitrag, den das Vereinigte Königreich dem westlichen Verteidigungsbündnis NATO leistet? Alles das sind Fragen, die sich hoffentlich lösen lassen, aber zunächst einmal ist Misstrauen gesät und Enttäuschung ausgelöst worden. Viele innerhalb Englands, Schottlands und Irlands, aber auch außerhalb Großbritanniens, fast die ganze junge Generation, empfindet den Brexit als einen ganz tiefen Vertrauensbruch. Mehr lässt sich aktuell noch nicht sagen.

2. Die EU ist noch nicht im Herz der Menschen angekommen?
Das lasse ich so nicht im Raum stehen, aber die Menschen nehmen es für selbstverständlich überall hin fast ungehindert reisen zu können, dass Läden voll sind von Essen oder Kleidung aus aller Herren Länder. Und mehr noch, die gemeinsame Terrorismusbekämpfung sorgt für Geborgenheit. Es ist nur so: Viele wollen die Vergangenheit, die Nostalgie einfrieren. Aber das geht nicht, das Maß der heutigen wirtschaftlichen Wertschöpfung kann nicht mit einem Organisationsgrad von 1948 oder 1957 erreicht werden, und damit auch nicht komfortable Löhne und Gehälter.

3. Ich finde die 5 alternativen aber kombinierbaren Vorschläge des Kommissionspräsidenten Juncker gut.
Wir brauchen das gemeinschaftliche wirtschaftliche Standbein bei sozial gerechten Verhältnissen in unseren Mitgliedsstaaten und auch in der der näheren Umgebung, also in Nordafrika und im Nahen- und Mittleren Osten, und wir müssen uns nach außen behaupten, deshalb ist eine ausgeprägte Sicherheits- und Verteidigungspolitik so essentiell, sonst sind wir Europäer der Spielball von den Hegemonialmächten Russland, USA und China und darüber hinaus hilflos opportunistischen Politikern wie Erdogan ausgeliefert. Mein konkreter Vorschlag ist deshalb diese Politikfelder, die teilweise als „Problemfelder“ wahrgenommen werden, als Zukunftsprojekte zu beschreiben und sofort schwungvoll und entschieden an die Projektbearbeitung heranzugehen, griffige Namen, wie „Wirtschaft 2040“ für Wirtschafts- und Entwicklungshilfepoltik, „Frieden und Sicherheit für Europa und seine Nachbarn“. Für diese konkreten Projekte, da sind die gewählten Politiker gefragt.

4. Die in letzter Zeit häufiger geäußerte Ablehnung der deutschen wirtschaftlichen Dominanz kann ich nicht verstehen.
Sämtliche Menschen auf unserem Kontinent genießen das enorme Steueraufkommen Deutschlands, alles andere ist volkswirschaftlicher Blödsinn. Ich vermute mal: Da steckt der Versuch dahinter, eigene Sorglosigkeit und fehlende eigene Anstrengungen notwendige einschneidende Wirtschaftsreformen vorzunehmen, zu vertuschen. Dabei habe jedenfalls ich Verständnis dafür, dass viele Staaten alten Ballast aus ihrer sozialistischen oder totalitären Vergangenheit nicht von heute auf morgen über Bord werfen können. Das dauert eine ganze Generation, aber haben wir Deutschen nicht Geduld und Verständnis gezeigt?

5. Zur Flüchtlingspolitik
habe ich seit über 2 Jahren gefordert, dass alle Staaten Europas die Aufnahme von mit dem Tode bedrohten Menschen nicht abstellen dürfen, dafür haben wir schließlich das Grundgesetz und die Menschenrechtskonvention. Aber: Wir müssen sehr viel mehr Geld -also Haushaltsmittel- dafür aufwenden festzustellen und zu kontrollieren wer sich überhaupt bei uns aufhält, und zwar auch im Nachhinein, außerdem müssen wir Menschen die hier kein Asylrecht haben, konsequent ausweisen. Ein Airbus mit 200 Sitzplätzen, der einmal ganze 15 Personen zurückbringt, das ist ein Witz, genannt Sammelabschiebung. Stabile Außengrenzen sind das A und O eines geeinten Europas! Dann wird Europa nicht zerbersten, sonst schon.

6. Gäbe es die Europäische Union nicht,
dann müsste sie dringend geschaffen werden, wenn wir denn heil aus dem kalten Krieg herausgekommen wären und Armut und Hunger uns nicht schon wieder in einen neuen Krieg in Europa hineingetrieben hätten.
Am 15. März haben die Holländer sich in mein Herz gewählt, weil sie sich in letzter Konsequenz für Europa entschieden haben. Bitte, liebe französische Nachbarn, entscheidet Euch auch für Europa und seine Werte!
Heute sage ich: Liebe Franzosen: Merci cordialement!

Rainer Taubert