Liebe Leserinnen und Leser,

nach zehn Jahren als Kommissionspräsident übergibt José Manuel Barroso das Amt an Jean-Claude Juncker. Die Amtszeit der Barroso-Kommission war geprägt von außergewöhnlich herausfordernden Jahren und der tiefsten Krise der Gemeinschaft seit Beginn der Europäischen Integration. Unter Barroso ist die EU mit der größten Erweiterungsrunde im Jahre 2004 von einem Regionalverband zu einem Kontinentalprojekt herangewachsen und umfasst heute 28 Mitgliedstaaten. Die Umsetzung des Lissabon-Vertrags bedeutete neue Machtverhältnisse in der EU durchzusetzen und dem Europäischen Parlament mehr Mitsprache zu geben. Jean-Claude Juncker übernimmt nun in einer nicht weniger turbulenten Zeit das Amt des Kommissionspräsidenten. Und er wurde dazu dreifach legitimiert: durch die Bürgerinnen und Bürger in der Europawahl, bei der er als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei antrat, durch die Staats- und Regierungschef, die ihn als Kommissionspräsidenten nominierten und durch das Europäische Parlament, das seine Kommission bestätigte. Die Erwartungen an Jean-Claude Juncker, dem attestiert wird der bislang unabhängigste Kommissionspräsident zu sein, sind also hoch gesteckt.

Herausforderungen

Seine Mannschaft steht und dem neuen Kommissionspräsidenten bleibt keine Eingewöhnungszeit. Die inneren sowie äußeren politischen Herausforderungen mit denen die neue EU-Kommission und das neugewählte EU-Parlament konfrontiert werden, sind groß: Nach innen geht es um nicht weniger als ihre Legitimität gegenüber der eigenen Bevölkerung, nach außen zeigt die Konfrontation in der Ukraine und anderen Nachbarstaaten, wie zerbrechlich Stabilität in unserer direkten Nachbarschaft ist. Jean-Claude Juncker muss Antworten auf diese aktuellen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik finden. Denn an den direkten Außengrenzen der Europäischen Union stehen sicherheitspolitisch große Fragezeichen. Die Krisenherde in der Ukraine, in Syrien im Nahen Osten und in den nordafrikanischen Staaten, die ans Mittelmeer grenzen und gewissermaßen den Vorhof zu Südeuropa bilden, bedeuten eine direkte Belastung für Europa. Die Europäische Union muss ihre veraltete Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003 an die neuen Herausforderungen anpassen und in großen außenpolitischen Fragen geeinter auftreten. Und beim Umgang mit den Flüchtlingsströmen wird der neue Kommissionspräsident Solidarität mit der Forderung nach sicheren Grenzen in Einklang bringen müssen. An der Spitze der Agenda stehen auch Maßnahmen, um Wachstum, Beschäftigung, sozialen Zusammenhalt zu fördern. Dabei muss er einen sparsamen Norden Europas und einem ausgabefreudigeren Süden Europas unter einen Hut bringen. Die Herausforderung, nicht von der Globalisierung überrollt zu werden, sondern diese mitzugestalten ist ebenfalls eine Hauptaufgabe Jean-Claude Junckers. Vor allem aber wird er daran gemessen werden, ob er die Bürger mit der EU versöhnt und sie für das Projekt Europa wieder begeistert.

Kommission im Struktur- und Kulturwandel

Vor wenigen Wochen wurde ich gefragt, wie das Team-Juncker funktionieren soll? Eine Mannschaft, in dem ein britischer Konservativer die Banken kontrollieren, ein französischer Sozialist die Staatshaushalte überwachen und ein früherer spanischer Ölmanager das Klima schützen soll? Ausgerechnet diese Mannschaft soll nun das Vertrauen der Menschen in die EU zurückgewinnen? Jean-Claude Juncker ist in den Verhandlungen der letzten Wochen gelungen, die Kommission zu einer Regierung zu formen. Aus Kandidaten wurden durch neue Aufgabenverteilungen und Ressortzuschnitte verantwortliche Projektteams geformt. Mit der Umstrukturierung der Kommission geht auch ein Kulturwandel einher: Mehr Politik und weniger Bürokratie. Besondere Hoffnung setze ich dabei in den EU-Vizepräsidenten Frans Timmermans der mit dem Thema Bürokratieabbau betraut wurde und zuständig für „bessere Regulierung“ ist. Und das ist auch nicht nur ein Titel: Vielmehr gibt Juncker einen Teil seiner Entscheidungsbefugnisse als Kommissionspräsident an seine „rechte Hand“ ab. Der Niederländer erhält ein Vetorecht, um intern Gesetzesvorschläge zu stoppen, wenn etwa die Folgekosten des Gesetzes besonders hoch sind. Jeder Vorschlag der EU-Kommission läuft über Timmermans’ Schreibtisch. Er hat bereits deutlich gemacht, „dass die Zeiten vorbei sind, wo es in Europa für jedes Problemchen ein eigenes Gesetz braucht“. Die Aussage „mit langjährigen Praktiken der Gesetzgebung brechen zu wollen“ macht all denen Mut, die wie die Europa Union Bayern die Fahne der Subsidiarität hochhalten.
Jean-Claude Juncker hat die neue Kommission deutlich in Richtung einer europäischen Regierung weiterentwickelt. Kein Kommissar steht ganz allein für ein Politikfeld. Letztentscheidungen wird der Präsident fällen, und der sucht Legitimation besonders durch das Europäische Parlament, das ihn gewählt hat. Die neue Kommission wird nun eine Sprache finden müssen, mit der sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger Europas zurückgewinnt.

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Markus Ferber, MdEP
Landesvorsitzender der Europa Union Bayern e.V.