TTIP spaltet die Gesellschaft und Europa: Kaum ein Thema wird so kontrovers diskutiert. Während die einen in dem Freihandelsabkommen die Chance für mehr Wachstum und Wohlstand sehen, befürchten die anderen Gefahren für unsere Demokratie, den Rechtsstaat und den Verbraucherschutz. Auch innerhalb der Europa-Union gibt es verschiedene Meinungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP). Stellvertretend für die beiden unterschiedlichen Positionen zu TTIP haben sich die stellvertretenden Vorsitzenden der Europa-Union München Walter Brinkmann und Prof. Dr. Michael Piazolo, MdL, für unser Mitgliederblatt kontrovers mit dem Freihandelsabkommen mit den USA auseinandergesetzt.
1. Ist TTIP eine Chance mit Nebenwirkungen oder anders gefragt: Ist TTIP – Fluch oder Segen?
WB: TTIP ist weder Fluch noch Segen. Das Freihandelsabkommen wird nicht zu einem dramatischen Umsatz- oder Beschäftigungsrückgang in Deutschland führen. Im Gegenteil. TTIP bietet u.a. durch den Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse Chancen für Kleine und Mittelständische Unternehmen (KMU) und das Handwerk. Großunternehmen können mit nicht-tarifären Handelshemmnissen umgehen. Daher bietet TTIP vor allem eine Chance für den Mittelstand.
MP: TTIP ist eher zu einem gewissen Fluch für die EU geworden. Selbst wenn das Freihandelsabkommen in einer anderen Form kommen und den ein oder anderen noch nicht vorherzusehenden Vorteil bringen sollte, ist der Schaden bereits immens. Man muss klar sehen, was TTIP die EU und die Kommission bereits gekostet hat: Nur wenige Themen sind und waren so negativ belastet wie TTIP und kaum ein Thema hat den Ruf der EU so belastet wie die intransparenten Verhandlungen zum Freihandelsabkommen.
WB: Tatsächlich wurde das Verhandlungsmandat der Kommission erst nach 14 Monaten veröffentlicht. Nicht erwähnt wird dabei aber, dass der zuständige EU-Kommissar Karel de Gucht das Mandat bereits zu Beginn veröffentlichen wollte, die Mitgliedstaaten inklusive der Bundesregierung aber dagegen votiert haben! Erst nachdem die öffentliche Diskussion die Geheimniskrämerei angeprangert hat, waren auch die nationalen Regierungen bereit, das Mandat zu veröffentlichen. Das Mandat war übrigens frühzeitig auf der Website der Grünen im Europäischen Parlament verfügbar!
MP: Genau dies offenbart die Schwächen der EU, dass es den Druck der Öffentlichkeit brauchte, um das Mandat zu veröffentlichen. So gewinnt man nicht das Vertrauen der Bevölkerung. Ich bin zudem sehr unzufrieden mit dem Stand der derzeit gepriesenen Transparenz. Selbst die Mitglieder des Europäischen Parlaments können die Unterlagen nur unter erschwerten Bedingungen (nur stundenweise und ohne die Möglichkeit Kopien anzufertigen) einsehen. Genauso funktioniert Demokratie nicht.
WP: Es gibt nun mal keine Verhandlungen über Handelsabkommen die je transparent geführt worden sind. Immerhin werden vor jeder Verhandlungsrunde der zuständige Ausschuss des EP und weitere Gremien, in denen neben Industrievertretern auch Verbraucher-, Umweltorganisationen und Gewerkschaften repräsentiert sind, über die von der Kommission angedachten Texte informiert. Nach der Sitzung werden die gleichen Gremien dann über die erzielten Ergebnisse informiert.
MP: Genau deswegen entsteht der berechtigte Eindruck des „closed shop“, d.h., der Eindruck, dass hier nur ein kleiner Kreis über weitreichende Entscheidungen verhandelt.
2. Welche Folgen hat TTIP für die Demokratie in den Mitgliedstaaten?
WB: Das Abkommen hat keinerlei Folgen für die Demokratie der Mitgliedstaaten. 1. Die Information der Parlamente obliegt den nationalen Regierungen. 2. Klare Rechtsvorschriften und der Regulationsausschuss (Anm.: Ausschuss für regulatorische Kooperation) sollen im Vorfeld von neuen Rechtsvorschriften die Entstehung von nicht-tarifären Handelshemmnissen vermeiden. Alles was aus dem Regulationsausschuss kommt, geht danach in den normalen Gesetzgebungsprozess. Das heißt, das Europäische Parlament und der Europäische Rat sind nach wie vor die Entscheider.
MP: Das zeigt ja, dass TTIP tatsächlich Auswirkungen auf unsere Demokratie hat. Demokratie heißt übersetzt „Herrschaft des Volkes“. Wenn man aber sieht, wie und was das Volk und die vom Volk gewählten Repräsentanten mitentscheiden können, dann ist das erschreckend wenig. 1. Das Europäische Parlament ist nicht aktiv in die Verhandlungen mit einbezogen. 2. Der Deutsche Bundestag und auch die Landtage der Länder haben keinerlei Mitsprachemöglichkeit. Die Entfernung zwischen denen, die verhandeln und denen die die Ergebnisse tragen müssen – den Bürgern – ist erschreckend. Wichtige Entscheidungen verlagern sich weg vom Bürger. So stelle ich mir Demokratie nicht vor!
WB: Solche Verhandlungen werden nicht mit 28 Ländern geführt, sondern auf EU-Ebene. Die Frage ob und wie man das EP und die nationalen Parlamente mit einbezieht ist natürlich berechtigt. Das EP nimmt ja bereits Einfluss und wird am Ende entscheiden, ob die EU-Kommission ein Ergebnis vorlegt, dass im Rahmen des Mandates liegt.
MP: Vom Verfahren her wäre das richtig, aber beim Bürger entsteht natürlich der Eindruck, dass hinter verschlossenen Türen verhandelt wirkt. Warum wird dem Bürger erst nach Jahren vorgelegt, was verhandelt wurde und was entschieden wird? Bestes Beispiel dafür ist das Abkommen CETA.
WB: Es hat sich kein Bürger und keine Partei um CETA gekümmert. Das gleiche gilt auch für das Handelsabkommen mit Japan! Darüber wird nicht geschrieben. Die einzelnen TTIP-Artikel sind im Übrigen auf der Website der Kommission veröffentlicht.
3. Wer profitiert von TTIP? Wer sind die möglichen Gewinner und wer die Verlierer?
MP: Das weiß man noch nicht. Mögliche Gewinner könnten die KMU sein, die Handel mit den USA treiben. Gewinner wäre eventuell auch der Staat durch höhere Steuereinnahmen. Zudem wird prognostiziert, dass es möglicherweise mehr Investitionen gibt.
Der größte Verlierer steht für mich jetzt schon fest: Die EU. Bei den Menschen hat die EU viel von Ihrem Renommee verloren. Damit steht auf der anderen Seite aber auch wieder ein Gewinner fest: Die Europäische Bürgerinitiative, die sich gegen das Freihandelsabkommen in der derzeitigen Form einsetzt und europaweit schon von mehreren Millionen Menschen unterzeichnet wurde. Das Mittel hat sich bewährt.
Verlierer könnten kleinere Betriebe sein und eventuell auch kommunale Betriebe, die Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge wahrnehmen. Unter dem Strich wird es natürlich so sein, dass der ein oder andere schon Geld durch TTIP gewinnen wird.
Mein Wunsch ist, dass man aus dem bisherigen Verhandlungsdebakel lernt und kommende Verhandlungen anders führt.
WB: Sie sehen das zu sehr aus der deutsch-österreichischen Perspektive. In den beiden genannten Ländern gibt es gerade einen Hype gegen TTIP, den es in dieser Form in anderen Ländern nicht gibt. Dort überwiegen die Befürworter. Das Problem mit der Daseinsvorsorge kann ich nicht nachvollziehen, da hierzu eine eindeutige Erklärung der Verhandlungsführer vorliegt. Zudem ist klar festgelegt, dass Privatisierungen nicht behindert werden sollen bzw. dass privatisierte öffentliche Dienstleistungen wieder verstaatlicht werden können. Für die Daseinsvorsorge besteht daher keine Gefahr.
MP: Es ist eben nicht eindeutig ausgeschlossen, dass Bereiche der Daseinsvorsorge privatisiert werden. Die Kommission arbeitet ja schon lange daran, bestimmte Bereich zu privatisieren.
WB: Das liegt nicht an der Kommission, sondern an den Mitgliedstaaten. Die Initiative zu privatisieren geht nicht von der Kommission aus, eher im Gegenteil. Wenn allerdings Bereiche der Daseinsvorsorge ausgeschrieben werden, muss dies nach EU-Regeln geschehen.
MP: Zwei konkrete Beispiele hierzu aus der Landespolitik: 1. Der Konzertsaal in München: Dem Bayerischen Rundfunk liegt ein Gutachten vor, dass aus Sicht der EU der Saal nicht mit öffentlichen Geldern bezahlt werden darf. 2. Der Verkauf der GBW (Wohnungsbaugesellschaft der Landesbank): Wie beim Konzertsaal wurde der öffentlichen Hand nahegelegt und von Seiten der Kommission sehr darauf geachtet, dass der Wettbewerb nicht verzerrt wird. Dies bestätigt die Sorgen von mir und einigen anderen Landespolitikern, die auch dadurch untermauert werden, dass bspw. im Bereich des ÖPNV der Betrieb der S-Bahn-Netze auch europaweit ausgeschrieben werden muss.
WB: Die beiden von Ihnen genannten Beispiele kenne ich nicht. Die Kommission hat aber nur zwei Hebel: 1. Das Beihilfegesetz, das gegen ungerechtfertigte Beihilfen gerichtet ist. 2. Eine Richtlinie die festlegt, ab welcher Höhe Ausschreibungen europaweit zu erfolgen haben. Die Richtlinie wurde im Übrigen von der Bundesregierung mit ausgehandelt.
MP: Nach TTIP werden die Ausschreibungen nicht mehr nur europaweit, sondern auch in den USA veröffentlicht werden müssen. Das betrifft dann bspw. auch die Ausschreibung der S-Bahn-Netze und das wiederum greift direkt in den Bereich der Daseinsvorsorge ein. Viele haben die berechtigte Sorge, dass die Bereiche der Daseinsvorsorge geöffnet werden. Hierzu gibt es viele Beispiele aus der Kommunalpolitik. Und seien wir mal ehrlich, ein Unternehmen vor Ort ist leichter zu kontrollieren.
4. Hat TTIP Folgen für den Umwelt- und Verbraucherschutz?
WB: Hier braucht man eigentlich keine Befürchtungen hegen. Hohe Umwelt- und Verbraucherschutzniveaus sollen ja gefördert werden. Es besteht sogar die Chance, dass man sich in Bereichen in denen die USA ein höheres Schutzniveau haben auf dieses Niveau verständigt. Bereiche in denen keine Einigung erzielt werden kann, werden aus TTIP ausgeklammert. Beispielsweise das gesamte Arbeitsrecht und die Förderung der kulturellen Vielfalt. Letzteres war ein besonderes Anliegen Frankreichs.
Da das Mandat der Maßstab sein wird an dem das EP, der Rat und höchstwahrscheinlich auch die 28 nationalen Parlamente sich orientieren, ist zu erwarten, dass wenn das Ergebnis nicht dem Mandat entspricht, die betreffenden Institutionen nicht zustimmen werden.
MP: Es wird wohl relativ zügig zugestimmt, da die Bundeskanzlerin das Thema vor der Bundestagswahl 2017 abschließen möchte. Es wird wohl nicht viel herausverhandelt werden. Zu den Verbraucherschutzstandards kann ich nur den CSU-Landwirtschaftsminister zu TTIP zitieren:“ Es werden nicht alle regionalen Standards und Marken erhalten werden können!“ Eine große Gefahr liegt auch darin, dass hoch umstrittene Verfahren wie Fracking nicht ausgeschlossen werden. Ich glaube schon, dass das Mandat klar formuliert ist, aber wer überprüft das denn? Es gibt eben große Märkte wie den von Pharmazeutischen Produkten. In Anbetracht der nicht unerheblichen marktwirtschaftlichen Interessen der Anbieter teile ich die Sorge der Bürger, dass sich die Macht der großen Konzerne am Ende durchsetzen wird.
5. Wie stehen Sie zu den umstrittenen Investor-Staats-Schiedsverfahren (ISDS)? Sind diese mittlerweile aus den Verhandlungen ausgeklammert?
WB: Die Schiedsgerichte sind nicht komplett rausverhandelt. Bei CETA wurden die Möglichkeiten der Klage beispielsweise sehr genau definiert: 1. Entweder aufgrund von Diskriminierung oder 2. aufgrund von willkürlichen Maßnahmen.
Die Regelungen bei CETA sind der Ausgangspunkt der TTIP-Verhandlungen. Bei TTIP sind darüber hinaus mehr Transparenz und weitere Punkte angedacht. Eine kleine Anmerkung am Rande: Rund 50 Prozent aller Schiedsgerichtsverfahren werden von Schiedsgerichten verhandelt, die bei der Weltbank angesiedelt sind. Die Bundesregierung hat bis dato noch kein einziges Schiedsverfahren verloren, wohl aber haben deutsche Unternehmen eine Reihe von Verfahren gewonnen. Derzeit haben bspw. die Stadtwerke München ein Schiedsverfahren gegen Spanien angestrengt, das allerdings noch nicht entschieden ist.
MP: Grundsätzlich bin ich gegen eine Ausweitung von Schiedsgerichtsverfahren. Eine große Errungenschaft unserer Demokratie ist die Gewaltenteilung und damit die Judikative als dritte Gewalt in unserem Staat. Die richterliche Gewalt ist von den Bürgern anerkannt und steht klar für die Unabhängigkeit von etwaigen Interessen. Dies ist für mich richtungsweisend.
Viele Mittelständler werden sich auch aufgrund der Unbekanntheit der Verfahren nicht trauen, vor die Schiedsgerichte zu gehen und sich damit nicht auf die außerstaatlichen Schiedsverfahren einlassen.
WB: Haben Sie die gleichen Befürchtungen, wenn ein KMU gegen einen US-Bundesstatt klagt?
MP: Deutsche Mittelständler werden sich viel wohler fühlen, wenn sie vor einem ordentlichen Gericht klagen. Den KMU geht es in erster Linie um Sicherheit und ein abschätzbares Risiko.
WB: Die Unternehmen können ja frei wählen, ob sie vor ein ordentliches oder ein Schiedsgericht ziehen. Außerdem können nur Staaten vor den Schiedsgerichten verklagt werden.
MP: Schiedsgerichtsverfahren sind zu intransparent. Woher kommen die Richter? Wie werden diese bezahlt?
WB: Bei CETA und TTIP ist zu erwarten, dass dies alles anders ist. Wir sollten aus historischen Erfahrungen keine voreiligen Schlüsse ziehen.
MP: Ich äußere offen die Sorge die ich habe, daher sind mir ordentliche Gerichte lieber als Schiedsgerichte.