Wir, die überparteiliche Europa-Union Deutschland (EUD) und die Jungen Europäischen Födera- list:innen (JEF), machen auf die Chancen aufmerksam, die in den Europawahlen liegen.

An den zehnten Wahlen zum Europäischen Parlament werden rund 400 Millionen Europäerinnen und Europäer teilnehmen können. In Deutschland haben erstmals dank der Absenkung des Min- destwahlalters auf 16 Jahre auch mehr junge Menschen die Möglichkeit, mit zu entscheiden und sich an der Demokratie in Europa zu beteiligen.

Trotz oder gerade wegen all der Krisen, die unsere Zeit prägen, wollen wir für einen neuen Auf- bruch werben. Die Europawahl bietet dazu die Chance. Unsere politischen und föderalistischen Forderungen waren immer schon visionär. Vielfach sind sie bereits Wirklichkeit geworden. Wir setzen auf die Europäische Idee.

In diesem Föderalistischen Manifest, das sich auf die Hertensteiner Thesen und das Düsseldorfer Programm stützt, formulieren wir unsere überparteilichen Erwartungen an die Politikerinnen und Politiker, die in den Jahren 2024 bis 2029 in und für Europa Verantwortung tragen werden. Ange- sichts der Entwicklungen in der Welt bleibt nicht viel Zeit, Europa unabhängig und nachhaltig aus- zurichten. Wir beschreiben deshalb ein Europa, für das in den kommenden Jahren die notwendi- gen Weichenstellungen zu treffen sind, erforderlichenfalls durch das Vorangehen einer hierzu be- reiten Gruppe von Mitgliedstaaten.

Demokratisches Europa

1. Unser Europa ist demokratisch, rechtsstaatlich und pluralistisch! Unser Ziel ist und bleibt der europäische Bundesstaat, ein föderal und subsidiär organisiertes Europa der Bürgerinnen und Bürger.

2. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssen immer wieder aufs Neue bejaht und entschieden nach innen wie nach außen verteidigt werden! Sie sind nicht selbstverständlich. Deshalb muss Eu- ropa seine Institutionen und die Instrumente zur Bewahrung und inneren Durchsetzung seiner freiheitlichen Ordnung stärken. Dazu gehören bei Verstößen gegen die Grundsätze von Demokra- tie und Rechtsstaatlichkeit auch effektive Sanktionsmechanismen. Daneben gilt es illegitime Ein- flussnahme durch Transparenz, unabhängige Kontrolle und wirksame Anti-Korruptionsregeln zu unterbinden.

3. Das Europäische Parlament braucht ein Initiativrecht! Ein einheitliches europäisches Wahlrecht mit einem europaweiten Wahlalter ab 16 und mit einer Erststimme für nationale und regionale Kandidaturen sowie einer Zweitstimme für Listen europäischer Parteien stärkt die repräsentative Demokratie. Eine bessere Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in Europa ist wichtig!

4. Europa gehört den Bürgerinnen und Bürgern, deshalb müssen sie auch an Entscheidungspro- zessen wirksam und nachhaltig beteiligt werden. Die organisierte Zivilgesellschaft mit ihren viel- fältigen Verbänden und Vereinen, insbesondere auch Jugendverbänden, ist Expertin der Themen, für die sie sich stark macht, und sollte auch als solche geachtet werden. Um ihrem wertvollen Bei- trag für zentrale Zukunftsthemen gerecht zu werden, sollte sie in einen strukturierten Dialog im Vorfeld parlamentarischer Entscheidungen und darüber hinaus im Sinne einer partizipativen und deliberativen Demokratie und einer Stärkung der Europäischen Bürgerinitiative eingebunden wer- den.

5. Die Einstimmigkeitsregel muss in allen Politikbereichen durch Mehrheitsentscheidungen er- setzt werden! Wir wollen, dass auch über Erweiterungen und Vertragsänderungen mit qualifizier- ten Mehrheiten beziehungsweise per europaweiten Referenden entschieden wird, für die jede EU- Bürgerin und jeder EU-Bürger eine gleichwertige Stimme hat.

6. Das Parlament als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger beschließt gleichberechtigt mit dem Rat über Einnahmen und Ausgaben sowie über alle europäischen Gesetze. Die EU-Kommission wird zu einer Regierung, die vom Parlament vorgeschlagen und vom Rat bestätigt wird.

7. Die Bewahrung und Wiederherstellung von Medienfreiheit und Medienvielfalt, wo nötig durch Zerschlagung von Monopolen, und ein entschlossener Kampf gegen Desinformation sind von strategischer Bedeutung für die Zukunft der Demokratie in Europa. Europa braucht eine starke ge- meinsame Medienaufsicht, vielfältige private Medienangebote, die sich nicht in einigen wenigen Händen konzentrieren, und vollständig unabhängige, überparteiliche öffentlich-rechtliche Medien. Mehr transnationale Medienangebote stärken europaweite Diskurse und damit die europäische Öffentlichkeit.

8. Jede Demokratie braucht mündige Bürgerinnen und Bürger! Politische Bildung und Europabil- dung sowohl im formalen Schul- und Erwachsenenbereich als auch durch non-formale Bildungs- angebote sind wirksame Mittel für ein demokratisches Bewusstsein und gegen Desinformation. Die EU muss Mindeststandards für politische Bildung in den Lehrplänen auf allen Ebenen und in allen Schultypen setzen, europaweite Austauschprogramme und Demokratieförderprogramme verstärken sowie für die europaweite Anerkennung von Bildungsleistungen sorgen.

9. Junge Menschen übernehmen schon heute Verantwortung für die Zukunft Europas. Jugend- verbände geben ihnen als Werkstätten der Demokratie den Raum, ihre Wünsche und Kritik zu arti- kulieren. Zur Berücksichtigung ihrer Interessen braucht es eine wirksame und transparente Beteili- gung an politischen Prozessen sowie eine strukturelle Förderung und bedarfsgerechte Finanzie- rung ihrer Aktivitäten. Bereits bestehende Bildungs- und Jugendförderprogramme sowie Beteili- gungsstrategien müssen gestärkt werden.

10. Alle Staaten Europas, die sich zu den europäischen Werten bekennen und den europäischen Rechtsbestand übernehmen, haben einen Beitrittsanspruch zur Europäischen Union. Gleichzeitig muss die EU handlungsfähig bleiben. Deshalb unterstützen wir die Vorschläge des Europäischen Parlaments für eine Vertragsreform und fordern die zeitnahe Einsetzung eines Europäischen Kon- vents.

11. Wir bekennen uns zum kulturellen Erbe Europas, insbesondere der Aufklärung und des Huma- nismus. Unser Europa ist und bleibt in Vielfalt vereint! Wir lehnen jegliche Formen von Diskriminie- rung ab. Die weitere Inklusion marginalisierter Gruppen am politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben bleibt von herausragender Bedeutung für eine friedliche, demokratische und föderale Integration unseres Kontinents. Dazu gehört die volle Gleichstellung der Geschlech- ter. Ebenso gilt das für eine konsequente Einbindung junger Menschen in politische Entscheidun- gen und eine Priorisierung ihrer Anliegen.

Handlungsfähiges Europa

12. Europa ist nach den Weltkriegen als Friedensmacht entstanden. Die europäische Friedensidee muss Kern der europäischen Identität bleiben und verteidigt werden. Der Sicherheitsbegriff Euro- pas beschränkt sich nicht auf die militärische Dimension. Er umfasst die sozialen Nachhaltig- keitsziele der Vereinten Nationen und versteht sich als gesellschaftliche und soziale Verantwor- tung, die in allen Politikfeldern Berücksichtigung finden muss. Ein handlungsfähiges Europa stärkt die regelbasierte multilaterale Ordnung!

13. Eine faire Handelspolitik und regelbasierte Außenpolitik sind Teil eines umfassenden europäi- schen Sicherheitskonzepts, das die EU konsequent weiterentwickelt. Europa bekennt sich zu den Zielen der Vereinten Nationen – „weltweiter Frieden, Sicherheit und Abrüstung, Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen zwischen den Staaten, Förderung der Menschenrechte durch in-ternationale Zusammenarbeit“ – und dient deren Verwirklichung.

14. Die Europäische Union benötigt aufgrund des demographischen Wandels eine geregelte le- gale Zuwanderung. Sie muss politisch Verfolgten und anerkannten Geflüchteten eine gesicherte Aufnahme bieten. Die EU braucht daher eine gemeinsame, solidarische und menschenrechtskon- forme Migrationspolitik, die Asyl, internationalen Schutz, gezielte Arbeitsmigration und Integration regelt und durch internationale Zusammenarbeit aktiv zur Bekämpfung von Fluchtursachen bei- trägt und damit der großen Mehrheit der Geflüchteten hilft, die innerhalb ihrer Herkunfts- und in Nachbarländer fliehen.

15. Nationalismus bedeutet Krieg, europäischer Föderalismus sichert den Frieden! Deshalb set- zen wir uns für eine Europäische Verteidigungsunion und eine Stärkung des transatlantischen Bündnisses ein. Ziel ist, Angriffskriege in oder von Europa ausgehend unmöglich zu machen, po- tenzielle Aggressoren abzuschrecken und zu Frieden und Stabilität in Europas Nachbarschaft bei- zutragen.

16. Die Verteidigungsunion verfügt über eine europäische Armee, die vom Parlament kontrolliert wird. Zu ihrer Verwirklichung muss die kostspielige und ineffektive Fragmentierung der europäi- schen Verteidigungssysteme überwunden werden. Eine gemeinsame europäische Beschaffungs- politik sorgt für die erforderlichen Synergieeffekte und bereitet den Weg zur europäischen Vertei- digungsunion. Wir fordern die Schaffung des Amtes einer Kommissarin oder eines Kommissars für Verteidigung.

Nachhaltiges Europa

17. Das Europa, das wir wollen, ist nachhaltig! Wir verstehen darunter im Sinne der Nachhaltig- keitsziele der Vereinten Nationen neben Klima- und Umweltschutz auch einen weiten, das ge- samte Wirtschafts- und Sozialleben umfassenden Begriff. Dabei darf auch die ökonomische Nachhaltigkeit nicht ausgeblendet werden.

18. Deshalb setzen wir uns für ein Europa ein, das Nachhaltigkeit auf kluge Weise mit Chancen- gleichheit und einer Ordnungspolitik verbindet, die schöpferische Kräfte freisetzt, Oligopole durch- bricht und die Transformationsprozesse im Interesse sozialer Durchlässigkeit, einer erweiterten Teilhabe und von mehr gesellschaftlicher Stabilität gestaltet.

19. Mit dem europäischen Binnenmarkt wurde der wirtschaftliche Kern der Europäischen Födera- tion bereits geschaffen. Diesen gilt es weiter zu vollenden und konsequent im Sinne der internati- onalen Wettbewerbsfähigkeit, eines fairen Wettbewerbs und Marktzugangs auf Nachhaltigkeit und soziale Kohäsion auszurichten. Die Europäische Säule sozialer Rechte muss umgesetzt und weiterentwickelt werden!

20. Wir fordern eine Kohäsionspolitik, die sich nicht auf Regional- und Strukturförderung be- schränkt, sondern gezielte Anreize schafft für private und öffentliche Investitionen, um die Le- bensverhältnisse in Europas Regionen anzugleichen. Dazu gehören nicht zuletzt die europäische Finanzierung von Zukunftsinvestitionen, eine Harmonisierung der Steuerpolitik, mehr europäische Eigenmittel, ein europäischer Mindestlohn, eine europäische Arbeitslosenrückversicherung, ein dauerhaftes Instrument zur Unterstützung von Kurzarbeitsregelungen (wie SURE) sowie weitere Verbesserungen des sozialen Dialogs und der sozialen Sicherungssysteme in den Mitgliedstaa- ten. Ziel muss die Überwindung extremer Ungleichgewichte sein, die das Fortbestehen der Union und die Weiterentwicklung zur Föderation gefährden können.

21. Die Begrenzung der Erderwärmung und der Erhalt der Biodiversität sind Menschheitsaufga- ben. Wir erwarten die Umsetzung des Europäischen Green Deal durch die Mitgliedstaaten! Der weltweite Ausbau klimaneutraler Energien, insbesondere der Solar- und Windenergie und eine nachhaltige Mobilität, haben oberste Priorität. Europa kann den damit verbundenen Herausforde- rungen vereint am besten begegnen.

Beschluss des gemeinsamen Bundesausschusses der Europa-Union und der Jungen Europäischen Föderalist:innen vom 02.03.2024