Vortrag von Herr Dr. h.c. Bernd Posselt am 29.10.2020 in Geretsried, Gasthof Geiger. Der Vorsitzende des Kreisverbands, Alexander Lippert, stellt Herrn Dr. Posselt vor und führt in das Thema des Abends ein. Herr Posselt freut sich, dass der Vortrag als Präsenzveranstaltung stattfinden kann.
Er knüpft an die Europawahl vor 1 Jahr an und bemerkt, dass er den ersten. Europawahlkampf 1979 mit organisiert hat, damals für Otto von Habsburg; in der Folge war er an allen weiteren Europawahlkämpfen beteiligt.
Den letzten bezeichnet er als den besten und erfolgreichsten der bisherigen Geschichte (zusammen mit dem ersten).
Seiner Erfahrung nach wollen die Leute ein starkes Europa, sie sind hiervon mehr überzeugt als manche Politiker; sie erfahren ein Europa, das in den Gemeinden seine Verwurzelung hat und dort hautnah erlebt wird.
Bei der letzten Europawahl war die Wahlbeteiligung die höchste der letzten anderen Wahlen; in München fiel sie höher aus als bei der Oberbürgermeisterwahl! Dies stimmt optimistisch.
Die Einsicht, dass wir eigenständig handeln müssen, ist weit verbreitet. Europa kann nur dann noch eine Rolle spielen, wenn es entsprechend verfasst ist und es so in die Lage versetzt wird zu handeln
Eine Zusammenarbeit mit den USA ist auch in Zukunft nötig. Aber auch wenn Trump die Präsidentschaftswahl verliert, verbessern sich zwar Stil und Ton, aber die Grundausrichtung des Handelns der USA wird sich nicht ändern. Deren Bevölkerung hat unterschiedliche Wurzeln, die europäisch-stämmigen Teile verlieren mit jeder weiteren Generation die Bindung nach Europa, die Orientierung in den asiatischen Raum nimmt zu.
Die USA werden immer mehr ihre eigenen Interessen vertreten: wir müssen uns um unsere eigenen kümmern.
Dass eine Zusammenarbeit zwischen den USA und einem einigen Europa notwendig ist, erkannte bereits Franz Josef Strauß: Die Nato wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie auf zwei Säulen ruht: den vereinigten Staaten von USA und den vereinigten Staaten von Europa!
Neben den USA muss Europa China und Russland im Blick behalten. Herr Posselt steht auf der Liste jener 87 Personen, die ein Einreiseverbot für Russland haben. Er findet dies als Ehre, da es auf seinen Einsatz für die Menschenrechte in Russland zurückzuführen ist (Unterstützung der russischen Opposition).
Russland hat geostrategische Interessen: Putin hat klar gesagt, dass Stalin der größte Politiker des 20 Jahrhunderts sei und er die Sowjetunion wieder errichten wolle!
Chinas Einfluss breitet sich weltweit aus. Es pflegt kleinere Länder als Einfallstor zu Europa: derzeit führt es in Serbien Infrastrukturprojekte durch.
Wir haben es bei China und Russland mit einem sehr massiven Dominanzstreben zu tun. Die Türkei versucht regional ihren Einfluss zu vergrößern, was Europa direkt betrifft.
Wir müssen bei all dem in der Lage sein, unsere Sicherheit und den Frieden zu erhalten.
Die Einheit Europas im 21. Jahrhundert ist eine Existenzfrage: Entweder zerfällt Europa oder es vereinigt sich und nimmt seine Angelegenheiten selbst in die Hand.
Es gibt genügend Bestrebungen, die Vereinigung Europas zu verhindern: Es fließen zu diesem Zweck riesige Geldmengen in antieuropäische Bewegungen. So finanziert der Kreml europafeindliche Gruppierungen, solange sie nur antieuropäisch sind, gleichgültig ob links- oder rechtsextrem.
Wie kann man Europa bei all dem zu einer handlungsfähigen Einheit führen?
Diese Einheit existiert bereits beim Außenhandel. Aber überall da, wo es einen Mehrwert bringt, wo die nationale Ebene überfordert ist, brauchen wir mehr Europa! Dies führt zur Notwendigkeit einer sachgerechten Kompetenzaufteilung.
Dazu sind auch Änderungen an den europäischen Verträgen nötig. Wir brauchen eine Zurückdrängung des Einstimmigkeitsprinzips! Dies ist zwar schon bei etwa 80% der Themen der Fall. Vor allem bei der Außen- und Sicherheitspolitk aber muss das Einstimmigkeitsprinzip dringend durch das der „qualifizierten Mehrheit“ ersetzt werden.
Die Vorgänge nach der letzten Wahl zum Europäischen Parlament haben bewiesen, dass das Vorantreiben der Parlamentisierung der Prozesse dringend notwendig ist. So muss z.B. die Wahl des Kommissionpräsidenten durch das Parlament erfolgen.
Die Konferenz über die Zukunft Europas wird jetzt beginnen. In diesen zwei Jahren sind alle Interessierten eingeladen, sich mit der Zukunft Europas zu beschäftigen und Vorschläge hierzu auszuarbeiten.
In der folgenden Diskussion wurde das deutsch-französische Verhältnis und seine Bedeutung für die Europäische Gemeinschaft angesprochen. Ist dieses Verhältnis gestört, bedeutet das eine große Gefahr für den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Das Wissen hierüber muss immer wieder bewusst gemacht werden, auch bei den jüngeren Politikern.
Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten hält Herr Posselt nur als eine Übergangslösung vertretbar. Es darf dabei niemand ausgegrenzt werden.
Weitere Themen der Diskussion waren der Brexit, die Situation in Polen, die Gaspipeline Northstream 2 sowie die Diskussion um eine Ausdehnung des Machtbereichs der Europäischen Union nach Osten.
Herr Lippert dankte dem Referenten für seine von großem Sachwissen und reicher persönlicher Erfahrung geprägten Vortrag, die Anwesenden schlossen sich mit einem lang anhaltenden Beifall an.
Peter Halke