„Sonst gehen bald alle Lichter aus“
Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, appelliert an Verantwortung der
Industriestaaten, Fluchtursachen gemeinsam zu bekämpfen
Von Sebastian Haas, Akademie für Politische Bildung
Was ist zu tun? Die Not in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, die an den Grenzen Europas und
in den zahlreichen Flüchtlingslagern weltweit ausharren, setzt sich fort. Im Rahmen des
Jahresempfangs der Europa Union München in der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen
Bundesbank wurde darüber diskutiert, mit welchen Mitteln die Ursachen von Flucht und Migration
anzugehen sind. Hauptredner des Abends war der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller.
Diese Zahlen kennt inzwischen jeder, sie sind erschreckend, können aber nicht oft genug wiederholt
werden: derzeit sind gut 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, sei es innerhalb ihres
Heimatlandes oder außerhalb, Tendenz stark steigend. Kriege und materielle Not in Afrika, im Nahen
und Mittleren Osten sowie ein meist idealisiertes Bild vom Leben in den Industrienationen treiben
immer mehr Menschen in Richtung Europa, dabei häufig in den Tod – und in der Folge die Staaten
Europas in eine tiefe (migrations-)politische und gesellschaftliche Krise. Das Bevölkerungswachstum
verschärft die Migrationsbewegungen weiter: lebten im Jahr 1916 noch 1,9 Milliarden Menschen auf
dieser Welt, so waren es 1966 bereits 3,4 Milliarden, so sind es heute 7,4 Milliarden und so werden
es 2040 voraussichtlich 10 Milliarden sein.
Wenn die Weltbevölkerung also weiter um 80 Millionen Personen jährlich wächst, sind Konflikte um
knappe Ressourcen die logische Folge. Den hoch entwickelten Ländern vor allem in Europa obliegt
die humanitäre Pflicht, diese Konflikte und die Ursachen von Not, Flucht und Vertreibung zu mindern.
Das betonten in ihren Begrüßungsstatements sowohl der Gastgeber unseres Jahresempfangs Alois
Müller, Präsident der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank, RA Stavros Kostantinidis,
Vorsitzender der Europa Union München, sowie die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in
Tutzing Professorin Ursula Münch.
Am Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Gerd Müller, war es dann,
konkrete Schritte zur Bekämpfung von Fluchtursachen zu erläutern. Müller begreift
Entwicklungszusammenarbeit als Friedenspolitik – und kritisierte daher die weltweit steigenden
Ausgaben für Rüstung und Verteidigung, inzwischen 160 Milliarden Euro jährlich. Nur einen geringen
Teil davon in Krisenprävention zu investieren, würde sich viel eher auszahlen. Müller selbst reist
regelmäßig in die Flüchtlingslager dieser Welt und hört von nahezu allen, mit denen er dort spricht,
einen Wunsch: zurück nach Hause zu gehen. Seine Schlussfolgerung ist daher so einfach wie logisch:
man muss den Menschen eine Perspektive in den befriedeten Teilen ihrer Heimat bieten. Und das
geht kurz zusammengefasst nur mit „Wasser, Essen, Energie, Jobs“. So setze sich das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung beispielsweise dafür ein,
- in sicheren Gebieten zum Beispiel des Nordiraks einfache Unterkünfte für Familien
aufzubauen, die Müllers Angaben nach lediglich 1000 Euro pro Person kosten. - das Überleben in den stark wachsenden Regionen Afrikas zu sichern (auf Sicht werden in
Nigeria 450 Millionen Personen leben, schon heute leben in Ägypten fünf Millionen
Heranwachsende auf der Straße), beispielsweise durch den geförderten Anbau ertragreicher
Reissorten. - Partnerschaften zwischen Europa und den Entwicklungsländern im Bildungswesen – für den
leichteren Zugang zu Wissen – und im Energiesektor aufzubauen. „Wir müssen die
Energiewende so schnell es geht umsetzen und den Partnern Anreize bieten, fossile
Brennstoffe nicht einzusetzen. Sonst gehen bald alle Lichter aus“, erläuterte Müller drastisch. - internationale Mindeststandards für fairen Handel durchzusetzen, bei dem auch der Anfang
der Produktionskette – sei es die Schneiderin in Bangladesch oder der Kaffeebauer in
Ecuador – profitiert.
Im Anschluss an Müllers Impuls wurden die Möglichkeiten und Hindernisse bei dem Versuch
thematisiert, die Eigenverantwortung und Kräfte zur Selbsthilfe in den Entwicklungsländern zu
stärken. Auf dem Podium diskutierten Doris Thurau, Landesdirektorin der Deutschen Gesellschaft für
Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Georg Fahrenschon, Präsident des Deutschen Sparkassen- und
Giroverbandes und Prof. Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG. Wegen der oft von
Korruption geprägten Strukturen in vielen Entwicklungsländern müssen die hiesige Wirtschaft und
Politik dort auf verschiedenen Ebenen agieren; die Kooperationen reichen von der Afrikanischen
Union über Nicht-Regierungs-Organisationen und mittelständische Betriebe bis zu kleinen Lösungen
vor Ort. Während Fahrenschon und Thurau diesen Ansatz unterstützen („wir tun das Richtige, wir tun
es schnell, aber noch zu wenig“), kritisiert Lutz dies als Tropfen auf den heißen Stein. „Wenn die G7,
wenn die USA, China und Russland nicht an einem Strang ziehen, hilft all die Hilfe nicht nachhaltig“,
sagt er. Am drängendsten müssten gemeinsam Lösungen gefunden werden, um die Produktivität in
der Landwirtschaft zu steigern. Denn standen im Jahr 1950 noch 5500 Quadratmeter Anbaufläche zur
Verfügung, um einen Menschen zu ernähren, werden es im Jahr 2050 nur noch 1500 sein.
Der Jahresempfang der Europa Union München in der Hauptverwaltung Bayern der Deutschen
Bundesbank war eine Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung mit den Jungen
Europäischen Föderalisten, der Europäischen Akademie Bayern, der Griechischen Akademie e.V. und
der Deutsch-Hellenischen Wirtschaftsvereinigung e.V. Wir bedanken uns bei den
Kooperationspartnern und Sponsoren und danken besonders dem scheidenden Präsidenten der
Hauptverwaltung Bayern der Deutschen Bundesbank, Alois Müller, für die vertrauensvolle
Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren.