Flüchtlinge in Bayern
Regionalbischöfin Breit-Keßler und Staatsminister
Huber zur Verantwortung der Kirche, Bayerns und
Europas
Vielfältig sind die Fragen, die sich mit der Zuwanderung nach Deutschland
beschäftigen. Von der Europäischen Union bis in die Kommunen geht es
darum, politische Lösungen im Großen und praktische Lösungen im Kleinen zu
finden. Mitten in diesem Prozess agieren die Evangelische Kirche und die
Bayerische Staatsregierung – meist mit den gleichen Motiven, manchmal mit
verschiedenen Ansätzen und oft mit einer entgegengesetzten Wortwahl. Wir
haben die Regionalbischöfin für München und Oberbayern Susanne BreitKeßler und den Leiter der Bayerischen Staatskanzlei Marcel Huber auf dem
Podium in der IHK-Akademie München zusammengebracht.
Vor knapp 120 interessierten Gästen skizzierte Susanne Breit-Keßler zunächst die
Aufgaben der evangelischen Kirche:
• Die Stimme für die Schwachen erheben und die Menschen in den
Mittelpunkt stellen, nicht Zahlen, Daten, Wellen und Ströme.
• Für demokratische Grundwerte eintreten, also auch für die Gleichstellung
von Frau und Mann, die freie Religionsausübung aller
Glaubensgemeinschaften oder das Existenzrecht Israels.
• Helfen, die Handlungsfähigkeit des Staates aufrecht zu erhalten („der
soziale Frieden kann nur bewahrt werden, wenn der Staat schnell
Voraussetzungen für die Versorgung und Integration der Migranten schafft, die
wir alle dann mit Leben füllen müssen“).
• Politiker in ganz Europa auf ihre Pflicht hinweisen, sich für das Wohl der
Menschen weltweit einzusetzen, also: Fluchtursachen ausmachen und
bekämpfen.
Damit liegt die Regionalbischöfin auf einer Linie mit dem Leiter der Bayerischen
Staatskanzlei und Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Sonderaufgaben.
Marcel Huber wies zudem darauf hin, dass eine Konkurrenz zwischen Einheimischen
und Zugereisten auf alle Fälle vermieden werden muss und sich die Staatsregierung
um verstärkte Investitionen in Wohnungsbau und Ausbildung bemüht.
Doch gibt es bei aller Einigkeit zwischen Kirche und Staatsregierung auch
unterschiedliche Auffassungen über die Schwerpunktsetzung in der aktuellen
Migrationsdebatte. Vonseiten der Politik wird den Kirchen der (versteckte) Vorwurf
gemacht, man sei für mehr zuständig als für die Moral. Diesen Wunsch nach mehr
Engagement beantwortete Susanne Breit-Keßler mit einer Aufzählung dessen, was
die Kirche bereits fördert, vom ehrenamtlichen Deutschunterricht bis hin zur
Bereitstellung von 1000 Wohnungen allein in Oberbayern. Die Regionalbischöfin
beklagte im Gegenzug eine verfehlte Rhetorik in weiten Kreisen der Politik.
„Worte können töten. Statt einen semantischen Kleinkrieg zu führen, sollten wir
gemeinsam denen das Wasser abgraben, die nicht für unsere demokratischen Werte
einstehen.“
Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler zur Rhetorik in der
Migrationsdebatte.
Marcel Huber, der nicht den Lautsprechern der Staatsregierung zuzurechnen ist, bat
um Verständnis für alle Verantwortlichen, „die tagtäglich im Feuer stehen“ und die
mit den Sorgen der Bürger wie der Neuankömmlinge direkt konfrontiert werden.
Diese Ängste müssten thematisiert, dürften aber niemals geschürt werden. In diesem
Zusammenhang bezeichneten beide Diskutanten die Debatte um den
wirtschaftlichen „Nutzen“ der Migranten zwar nicht als verfehlt, aber als verfrüht:
„Die Barmherzigkeit steht im Mittelpunkt aller Bemühungen“, erklärte die
Regionalbischöfin, „aber wenn sich aus der Migration ein wirtschaftlicher Nutzen
ergeben kann, wäre es verrückt, diesen nicht zu ergreifen“.
Wann kommt die ersehnte europäische Lösung?
Bevor die wirtschaftliche Integration der neu Ankommenden richtig in Angriff
genommen werden kann, müsse es darum gehen, die Migration dauerhaft in
geordnete Bahnen zu lenken. Damit war die Diskussion auf der Ebene der
europäischen Politik, der Kontrolle der Schengen-Grenzen, der
Flüchtlingskontingente sowie der Fluchtursachen angelangt. Die Worte wurden
deutlich.
„Die Lösung kann nicht sein, die Menschen einfach nach Deutschland
durchzulassen, bis eine gesamteuropäische Lösung gefunden ist.“ Staatsminister
Marcel Huber zur aktuellen Flüchtlingssituation.
Auch Regionalbischöfin Breit-Keßler befürchtet, dass das Verständnis der hiesigen
Bevölkerung und die Belastbarkeit des Sozialstaates bei einer unkontrollierten
Migration in nicht allzu ferner Zukunft an ihre Grenzen stoßen. Sie nimmt – gerade im
Namen der europäischen evangelischen Christen – alle Regierungen in die Pflicht
und schlägt vor: „Wenn andere europäische Länder nicht bereit sind, Flüchtlinge
aufzunehmen, muss man eben aufhören, ihnen Geld zu überweisen.“ Auch Marcel
Huber fragte offen, „ob die Staaten, die eine konstruktive Flüchtlingspolitik und
europäische Lösungen ablehnen, reif genug sind für die EU“.
Darüber hinaus gelte es aber, ergänzte Breit-Keßler, in der Diskussion um die Fluchtursachen auch die
eigenen Lebensweisen zu hinterfragen. Wer Kleidungsstücke für fünf Euro kauft,
Waffen in Krisengebiete liefert oder mit dem Export von Altkleidung oder
anscheinend nicht genießbarer Hühnerbeine die Wirtschaftskreisläufe vor allem
afrikanischer Länder (zer)stört, trägt eben auch seinen kleinen Teil zur globalen
Migration bei.
Bereits zu Beginn unseres Podiumsgesprächs hatte der stellvertretende
Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer für München und
Oberbayern, Dr. Manfred Gößl, die Verantwortung der Wirtschaft für die
Integration der Migranten betont. Das Fördern der Sprachfertigkeit, das Feststellen
der Kompetenzen und die Weiterqualifizierung will die IHK nun mit dem
Integrationspakt Bayern sicherstellen. Einen kurzen Überblick über die aktuelle
Migrations-Situation boten Akademiedirektorin Prof. Dr. Ursula Münch und der
Mitveranstalter und Vorsitzende der Europa-Union München, RA Stavros
Kostantinidis.