Herausforderung Ukraine-Krise

Zu europäischen Werten stehen

 

 

Das Jahr 2014 wurde in Europa als Gedenkjahr des Ersten Weltkrieges wahrgenommen.
Die Vielzahl geplanter Veranstaltungen zur
Erinnerung an die 100 Jahre zurückliegenden
Ereignisse hatte zum eigentlichen Ziel das Gedenken an Millionen Gefallene, Mahnung an die
Grausamkeit des Krieges und Aufruf zur Erhaltung des Friedens in Europa, der so viele Opfer
und Anstrengung – von allen Seiten – forderte.

Als die Jahrestage der Urkatastrophe des 20.
Jahrhunderts näher rückten, wurde der Appell
gegen eine Wiederholung solch tragischen Geschehens zeitgemäßer und notwendiger denn je. Denn in diesem Jahr ist auf
europäischem Boden, in der Ukraine (etwa 2,5 Flugstunden von
München entfernt) ein neuer Krieg ausgebrochen, der in den
deutschen Massenmedien ziemlich lange unentschlossen als
„Krise“ bezeichnet wurde.

Im Jahr 2015, im Gedenkjahr des Zweiten Weltkrieg-Endes, wird
bereits eindeutig von einer Gefährdung der gesamteuropäischen
Sicherheit gesprochen. Die Bedrohung geht von einem Land aus,
das sich in der innerstaatlichen Propaganda sowie auf der internationalen Ebene das Monopol auf den Sieg über den Nationalsozialismus zuspricht. Die Moskauer Regierung behauptet: Der
Sieg im Zweiten Weltkrieg sei in erster Linie eine Errungenschaft
Russlands und hätte auch ohne Beteiligung der Ukraine erreicht
werden können; die Tatsache, dass die Ukrainer den zweitgrößten Teil der sowjetischen Armee bildeten, wird damit deutlich
übersehen… Am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz bezeichnet der russische Außenminister die öffentliche
Danksagung Polens an ukrainische Soldaten, die am
27. Januar 1945 das KZ-Tor öffneten, als „Leugnung
und Verzerrung der historischen Fakten“.

Baltische Staaten äußern gegenwärtig eine ernsthafte Besorgnis um ihre Sicherheit, wie auch jedes
europäische Land und jede ukrainische Stadt, in denen russischsprachige Minderheiten zu Hause sind.
Denn, wie die traurige Erfahrung der Krim bereits
gezeigt hat, werden die angeblich „unterdrückten“
Russischsprachigen von der Moskauer Regierung
als Vorwand für Konfliktauslösung, Einsendung von russischen
Truppen, die als „landeseigene Separatisten“ getauft werden,
und für darauffolgende Annexion benutzt.

Bedauerlicherweise ist also ganz Europa mit einer herausfordernden und äußerst komplizierten Situation konfrontiert, die alle
betrifft und die man nicht unterschätzen darf. Doch was kann
man konkret dagegen unternehmen? Wie könnte die EU-Sicherheitspolitik gewährleistet werden? Eine politische Isolation und
wirtschaftliche Zerstörung Russlands erscheint sicherlich nicht
als die vernünftigste Lösung. Ist aber die Vorstellung, mit Moskau in wirksamen Dialog zu treten, als realistisch anzusehen?

Im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz wurde ein Versuch unternommen, diese und ähnliche Fragen rund um die Ukrainekrise in der interessanten Veranstaltung* Die EU vor neuen
sicherheitspolitischen Aufgaben: Ukrainekrise und IS-Terror als
zentrale Herausforderungen zu beantworten.

 

 

 

Olga Lantukhova,
Drachme-Reporterin
mit ukrainischem Hintergrund,
war vor Ort und berichtet…

 

Trotz der offiziellen Ausformulierung des Themas lag der
Schwerpunkt dieses Abends auf dem Ukraine-Konflikt. Zur Einführung trat Manfred Weber, Vorsitzender der konservativen
EVP-Fraktion im Europäischen Parlament und der CSU im Bezirk
Niederbayern, mit einem Impulsvortrag auf. Er sprach von seinen Erfahrungen während des amtlichen Besuchs in Kiew nach
der „Revolution der Würde“ – so bezeichnen die Ukrainer selbst
die dramatischen Ereignisse vom Euromajdan. Bei dem Besuch
fand auch ein Treffen mit dem Präsidenten P. Poroschenko und
dem Premierminister A. Jazeniuk statt. Die neue ukrainische Regierung, so Weber, verfüge über eine pro-europäische Agenda,
vertrete Bestrebungen nach Demokratie und Meinungsfreiheit
und sei bereit, die von ihrem Volk erkämpften Werte zu beschützen. Wenn die EU als Wertegemeinschaft für solche Inhalte
und Bestrebungen einzustehen bereit sei, könne es für sie keine Alternative geben.

Klar und eindeutig bezeichnete Weber die Handlungen Russlands als eine Reihe von untolerierbaren Verletzungen des Völkerrechts, der Souveränität und der internationalen Abkommen,
die im Endeffekt zum Vertrauensverlust führen. Russland handelt
mit veralteten Methoden der militärischen Länderübernahme;
diesen sollte eine europäische Sicherheitspolitik entgegengesetzt
werden, die diplomatische Verhandlungen dem direkten Eingreifen vorzieht. Selbstkritisch bemerkte der EU-Parlamentarier, dass
Länder der Europäischen Union, die NATO-Anträge der Ukraine
mehrfach abgelehnt hatten oder mit dem prorussischen Präsidenten W. Janukowitsch verhandelten, ebenfalls eine indirekte
Schuld an der aktuellen Krisensituation trügen. Ferner erläuterte
Weber eine politische Herausforderung, die seit dem Anfang
dieses Konflikts innerhalb der EU besteht: eine bewiesene Tatsache ist, dass die russische Regierung zwecks der politischen
Destabilisierung europaweit – auch in Deutschland – links- wie
rechtsextreme Parteien finanziert. Abgeschlossen wurde der
Vortrag mit dem Vorschlag einer besser koordinierten Handelspolitik und einer ambitionierten und werteorientierten gesamteuropäischen Außenpolitik.
Während der darauffolgenden Podiumsdiskussion stimmten der
Direktor des Instituts für Europäische Politik Berlin, Prof. Dr. Mathias Jopp, und der Professor der Geschichte Osteuropas an
der LMU München, Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, für die

 

 

 

gegen Russland angewendete Sanktionspolitik. Beide waren
der Meinung, diese würde im Endeffekt zum europäischen
Frieden beitragen – allerdings nur, wenn die russische Regierung die ersten Schritte zur Konfliktlösung macht. Der ehemalige Verteidigungssekretär Prof. Dr. Walther Stützle, einer
der Hauptinitiatoren des Appells „Wieder Krieg in Europa?

Ohne uns!“ – einem von insgesamt 60 Persönlichkeiten der
Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur unterzeichneten
Aufruf für eine Entspannungspolitik im Verhältnis zu Russland
– vertritt den Standpunkt, politische Isolation und wirtschaftliche Zerstörung Russlands wären kein Ausweg aus der gesamteuropäischen Bedrohungssituation namens Ukraine-Konflikt.

Außerdem, so Stützle, Russland „in die Knie zu sanktionieren“
wäre auch praktisch unmöglich, da China als starker wirtschaftlicher Partner an der Seite des Landes steht. Stattdessen
sollen Versuche, einen wirksamen Dialog aufzubauen, nicht
unterlassen werden. Darauf erwiderte M. Weber, es wäre
unmöglich, einen Dialog mit dem Partner zu führen, dessen
höchst unglaubwürdige Propaganda und ständige unwahrhaftige Äußerungen auf der internationalen Ebene jegliches
Vertrauen zu ihm zerstörten. Weiterhin charakterisierte er
Russland als einen „Wiederholungstäter“ mit dem Hinweis auf
den Georgien-Konflikt von 2008.

Die Diskutanten haben darauf hingewiesen, dass nach dem
EU-Grundlagenvertrag von Lissabon in der Europäischen Union keine einheitliche Sicherheitspolitik besteht, wie es auch
bei den vereinigten Streitkräften der Fall ist. Angesichts von
aktuellen Bedrohungen aber wäre diese jetzt äußerst notwendig – oder wenigstens eine besser koordinierte gemeinsame
Abstimmung des Vorgehens.

Im Anschluss an die Diskussion kamen die Gäste zu Wort. Die
Generalkonsulin Griechenlands Sophia Grammata erstattete
im Namen ihres Landes und der Griechen Münchens ihren
Dank an die deutsche Regierung für ihre Bemühungen um
Frieden in der Ukraine und besonders in der Region von Donezk, dem Wohnort vieler ethnischer Griechen, die in der von
russischer Artillerie beschossenen Stadt Mariupol angesiedelt
sind und gegenwärtig den Terroranschlägen zu Opfer fallen.

Nach neueren Berichten der ukrainischen Armee sind die immer noch als „pro-russische Rebellen“ bezeichneten Truppeneinheiten kurz davor, Mariupol anzugreifen. Da die Stadt an
der Küste des Asowschen Meeres liegt, stellt sie für Russland
einen strategisch wichtigen Punkt dar, eine Verbindung zwischen den ostukrainischen Gebieten und Krim. Die Abkommen
von Minsk II wurden innerhalb von 48 Stunden nach dem Inkrafttreten der vereinbarten Waffenruhe verletzt – von der russischen Seite. Deutschland und EU bestehen auf diplomatischer
Regelung des Konflikts; die Möglichkeiten eines konstruktiven
Dialogs ohne Druckausübung stehen aber stark in Zweifel.

Wie soll man also mit einem Gegner umgehen, der offensichtlich so
handelt, als hätte es die letzten 100 Jahre europäischer Geschichte nicht gegeben? Diese Frage bleibt offen.

 

 

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Ukaine-Krise_Gr.-Akademie_DRACHME

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