Bericht über einen Diskussionsabend in der Seidl-Villa, München am 2. Juli 2018
gemeinsam veranstaltet von der der
Südosteuropa-Gesellschaft e.V., der Europa Union München e.V., und der Europäischen Akademie
Die russische Föderation konnte mit rücksichtslosem Vorgehen in den letzten Jahren ihre
Stellung in der Welt deutlich stärken. Zudem gab und gibt es unter dem autokratischen
Präsidenten Putin systematische Versuche, die EU und den Westen zu schwächen.
Die Experten für Außen- und Russlandpolitik Dr. h.c. Gernot Erler, ehem. Staatsminister im
Auswärtigen Amt sowie Russland-Beauftragter der Bundesregierung und Dr. Rainer Stinner,
Ex MdB und außenpolitischer Sprecher der FDP Fraktion schilderten den zahlreichen
Teilnehmern eindrucksvoll wie es zur Entfremdung Russlands vom Westen kam und welche
Rolle auch dieser dabei spielte. Und sie machten deutlich, dass gerade heute eine starke EU
gebraucht wird, um unsere Interessen und Werte zu behaupten.
Erler führte zunächst aus, dass der Prozess der Entfremdung vom Westen schon lange vor dem
Ende der UdSSR begann. Sowie die politische Entwicklung als auch die handelnden Personen seien
auf beiden Seiten unterschiedlich verstanden worden (z.B. das Assoziierungsabkommen mit der
Ukraine u.a., die Nato-Erweiterung; Jelzin, im Westen geachtet, wurde zuhause als Verantwortlicher
für Chaos und Armut gesehen). Russland unter Putin, vom Westen enttäuscht, reagierte mit
bedrohlichen Aktionen.
Die heutige Bevölkerung sei Putin dankbar für die Stabilität im Land. Es habe sich ein
Selbstbewusstsein als „Ordnungsmacht mit eigenen Werten“ entwickelt, als „starkes Russland, von
Feinden umgeben“.
Die westliche Hegemonie sei vorbei. Im neuen Zeitalter der multipolaren Welt fühle sich Russland
gleichberechtigt. Aber auch China geriere sich als Ordnungsmacht mit eigenem Wertesystem und
komme in Kollision mit russischen Interessen. Es entwickele sich wieder die Gefahr „der Macht des
Stärkeren“.
Im Hinblick auf die Weltordnung sei eine starke EU heute so nötig „wie nie zuvor“.
Stinner bestätigt die Einschätzungen Erlers und ergänzt sie mit der Fragestellung „Was haben wir zu
den Missverständnissen mit Russland beigetagen?“ Seine zugespitzte Antwort lautet: mit westlicher
Überheblichkeit wussten wir „wie es richtig ist“. Die Amerikaner unterstützten Jelzin (bei fehlgeleiteter
Privatisierung und Deregulierung.) Der Westen habe Russland nie auf gleicher Höhe gesehen,
russische Vorschläge nicht einmal angeschaut. Dies habe tiefe Wunden hinterlassen. Und heute
gebe es einen offenen Konflikt um Werte, Macht und Einfluss.
Bei den großen Problemen unserer Zeit habe die EU eine ähnliche Einschätzung, aber – anders als
Putin und Xi Jinping – keine Strategie. Zudem gebe es bei der EU ein Glaubwürdigkeitsproblem: „Wir
werden unserem Wertesystem nicht gerecht“.
Auch für Stinner sind Lösungen nur durch die EU möglich, etwa gegen Hacker- und ähnliche Angriffe
durch eine europäische Sicherheitsagentur. Auch Deutschland solle außen- und handelspolitische
Alleingänge beenden und z.B. bei China-Besuchen zusammen mit Frau Mogherini auftreten.
Die EU müsse „gemeinsame Ziele und Interessen definieren“ und mehr Initiativen starten. Für die
großen Probleme (z.B. Klima, Iran) müsse die EU Partner suchen und auch mit Gegnern verhandeln.
In der anschließenden Diskussion warnt Erler vor einer Eskalationsspirale (z.B. immer mehr
Militärübungen auf beiden Seiten, zahlreiche unangekündigte Überflüge der Russen). Dagegen
müssten Signale gesendet werden.
Für Stinner ist der Satz „Es gibt keine militärischen Lösungen“.
falsch. Man müsse bereit sein, sich zu wehren.
Beide Experten fordern die Aufrechterhaltung und Erneuerung von Kontakten zwischen dem Westen
und Russland auf verschiedenen Ebenen. Insbesondere sprechen sie sich aus für eine Verbesserung
der Zusammenarbeit im Nato-Russland-Rat und für das Aufleben von G8.