Nicht nur das Grundgesetz ist 75 Jahre alt. Auch die Volkshochschule Hammelburg wurde vor 75 Jahren gegründet, am 15. September 1949. Auf diese Sachverhalte verwies die Geschäftsführerin der VHS Hammelburg. Es sei kein Zufall, dass diese beiden Ereignisse zusammenfallen, so Claudia Beyrle vor mehr als 50 Zuhörerinnen bei einer Kooperationsveranstaltung der VHS mit der Europa Union und dem Aktionskreis Demokratie.
Nach der Zeit des Nationalsozialismus musste das demokratische Verständnis neu gelernt werden. Die Förderung der Werte des Grundgesetzes war von Anfang eine wesentliche Grundlage der Arbeit der VHS Hammelburg. Deshalb arbeitet die Bildungseinrichtung mit verschiedenen überparteilichen Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenn, wie beispielsweise der Europa Union oder dem Aktionskreis für Demokratie.
Die Wut ist zurück
Reinhard Schaupp, Kommunalpolitiker, Historiker und stellvertretender Vorsitzender der Europa Union Bayern, erörterte in seinem Jubiläumsvortrag die Frage eines deutschen Sonderwegs in der Moderne und in der Geschichte des Parlamentarismus. Kennzeichen dieser Entwicklung waren Anfang des 20. Jahrhunderts ein übersteigerter Militarismus und Nationalismus, verbunden mit der Wut darüber, in der Geschichte zu kurz gekommen zu sein. Diese Wut sei zurück in der aktuellen politischen Debatte und führe zu einer von extremistischen politischen Kräften beabsichtigten Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft. Der Referent gab einen Überblick über die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat in Europa in der Zeit von 1789 bis heute. Die Weimarer Verfassung war die erste gesamtdeutsche parlamentarisch-demokratische Verfassung. Sie schuf das Frauenwahlrecht, implementierte eine Gewaltenteilung und beinhaltete repräsentative und plebiszitäre Elemente nebeneinander. Sie scheiterte insbesondere an der Entschlossenheit ihrer Gegner sie zu beseitigen, der fehlenden Unterstützung in der Zivilgesellschaft und der mangelnden Kompromissbereitschaft der demokratischen Parteien, die von den extremen politischen Kräften zerrieben wurden.
Das im Mai 1949 vom parlamentarischen Rat verabschiedete Grundgesetz zog Lehren aus den Fehlern der Weimarer Republik. Zentrale Streitpunkte bei der Beratung waren unter anderem die Ausgestaltung der föderalen Ordnung, die Rolle des Bundespräsidenten, die Finanzverwaltung und die Forderung der Kirchen nach einem zentralen Platz im öffentlichen Leben. Auch die Gleichberechtigung der Frauen war heftig umstritten. Letztendlich konnten sich die beiden SPD-Frauen Elisabeth Selbert und Friederike Nadig durchsetzen und in den Artikel 3 des Grundgesetzes wurde die Formulierung aufgenommen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Das Ziel der vier Gründermütter und 61 Gründerväter war eine „wehrhafte Demokratie“. Deshalb wurde bewusst auf plebiszitäre Elemente verzichtet, ein Bundesverfassungsgericht geschaffen, in Art. 79 eine so genannte „Ewigkeitsklausel“ implementiert und die Kompetenzen des Bundespräsidenten reduziert.
Laut Schaupp ist unser Grundgesetz eine geglückte rechtsstaatlich-demokratische Verfassungsordnung. Aber kein Verfassungsmodell ist absolut gesichert gegen Missbrauch und den Ansturm von extremen politischen Parteien. Die Wehrhaftigkeit und das Überleben von Demokratien ist abhängig vom Wahlverhalten der Menschen und von der Entschlossenheit der Zivilgesellschaft, den Rechtsstaat zu verteidigen. „Ohne Demokraten gibt es keine Demokratie“, so die Schlussworte des Referenten.
Wilfried Vogler
Claudia Beyrle