Wenn es um das Thema Scheinselbstständigkeit geht, herrscht große Verunsicherung sowohl bei Auftraggebern als auch bei Auftragnehmern. Das kann rechtliche und teure Folgen für die Beteiligten haben. In extremen Fällen kann es Auftraggeber und/oder Auftragnehmer in den Ruin treiben. Selbständig, scheinselbständig, rentenversicherungspflichtig?
Um über die Risiken der Scheinselbständigkeit über in- und ausländische Arbeitnehmer/-innen zu informieren, luden wir in die AOK Direktion Deggendorf ein. In zwei Vorträgen konnten die Teilnehmer von Experten erfahren, was Sie als Unternehmer beachten müssen.
Im ersten Vortrag referierte Herr Josef Weinzierl, vom Prüfdienst der Deutschen Rentenversicherung, Bayern Süd, über „Schein oder Nichtschein“ – sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung. Aus seinen sehr detaillierten Ausführungen wurde deutlich, dass aus vermeintlichen Chefs ganz schnell ganz gewöhnliche Arbeitnehmer werden. Scheinselbständigkeit bezeichnet somit die nachträgliche Feststellung einer Vertragsbeziehung als abhängiges Beschäftigungsverhältnis anstatt einer Vertragsbeziehung zwischen einem selbständigen Unternehmer und einem Auftraggeber. Anhaltspunkte für Scheinselbstständigkeit sind
– unmittelbare Weisungsbefugnis des Auftraggebers,
– feste Arbeitszeiten bzw. Urlaubsanspruch,
– Reporting-Pflichten gegenüber dem Auftraggeber,
– feste Integration in Prozesse und sonstige Infrastruktur des Auftraggebers,
– feste Bezüge.
Wird Scheinselbständigkeit festgestellt, müssen die Betroffenen die Hälfte ihrer gesetzlich auferlegten Sozialversicherungsbeiträge bezahlen. Die andere Hälfte kommt vom Arbeitgeber. Im Fall der Selbstständigkeit hätten sich beide Seiten diese Kosten sparen können. Das macht Scheinselbstständigkeit oft lukrativ, so Herr Weinzierl. Die finanziellen Konsequenzen der Scheinselbständigkeit sind gravierend. Im schlimmsten Fall müssen Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge für die vergangenen 30 Jahre nachzahlen. Eine Überprüfung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, kann zum einen von Betroffenen selber beantragt werden und zum anderen durch einen Verdacht vom Finanzamt oder der Rentenversicherung veranlasst werden.
Im zweiten Vortrag referierte Herr Rechtsanwalt Udo Heller, Fachanwalt für Arbeitsrecht von der Kanzlei SWS Partner, über das Thema Betriebsprüfung und Scheinselbständigkeit. Scheinselbstständigkeit ist nach seinen Ausführungen für viele Selbstständige und Kleinunternehmer ein leidiges Thema. Das liegt vor allem daran, dass es in Deutschland keine harten Kriterien für Scheinselbstständige gibt. Trotzdem sollten sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber stets genau prüfen, ob das Risiko einer Scheinselbstständigkeit besteht. Herr Heller ging sehr anschaulich auf präventive Maßnahmen ein, die Unternehmen ergreifen können, um das Risiko einer Scheinselbständigkeit zu vermeiden. Bedeutsam sei hier besonders die Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse, d.h. was ist in der Vergangenheit passiert und was ist geplant. Herr Heller empfahl insbesondere das Vermeiden einer Weisungsgebundenheit (keine Zeitvorgaben, freie Wahl des Arbeitsortes) sowie das Vermeiden einer sogenannten Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers. Letzteres wird vermutet, wenn vom Auftraggeber Arbeitsmittel oder ein Arbeitsplatz/Büro zur Verfügung gestellt werden, ein persönlicher E-Mail-Account besteht und/oder Visitenkarten des Auftraggebers verwendet werden.
Am Schluss dieser Veranstaltung, die sich einem besonders herausfordernden und schwierigen Thema widmete, dankten alle den Organisatoren und hochkarätigen Referenten sehr herzlich. Den Herren Heller und Weinzierl als willkommenen und ausgewiesenen Experten war es gelungen, ein kompliziertes Thema den Teilnehmern verständlich nahezubringen.